Freie und gleiche Willensbildung des Volkes

Gegen den Ausschluss “extremistischer” Parteien aus der Parteienfinanzierung

zuerst erschienen am 20.06.2017 in der Freien Presse

CDU/CSU und SPD wollen der NPD die staatliche Parteienfinanzierung streichen. In namentlicher Abstimmung wird der Bundestag am Donnerstag den Weg dafür frei machen.

Die rechtsradikale Partei hatte aufgrund ihres Wähleranteils für 2017 noch 1,1 Millionen Euro erhalten – Tendenz sinkend. Aufgrund eines neuen Artikels 21 Absatz 3 des Grundgesetzes soll das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung, des Bundestags oder des Bundesrats “Parteien mit verfassungswidrigen Zielen” ausschließen können. Bisher war eine staatliche Ungleichbehandlung verboten. Der neue Artikel teilt nun in “verfassungstreue” und privilegierte sowie nicht verbotene, aber diskriminierbare Parteien ein.

Der Stein war ins Rollen gekommen, nachdem das Bundesverfassungsgericht am 17. Januar den Verbotsantrag des Bundesrats gegen die NPD abgelehnt hatte. Sein Präsident Andreas Voßkuhle erklärte damals: “Ob in einer solchen Situation andere Reaktionsmöglichkeiten sinnvoll sind, wie zum Beispiel der Entzug der staatlichen Finanzierung, hat der verfassungsändernde Gesetzgeber zu entscheiden.”

Die Verlierer in den Ländern ließen sich nicht lange bitten. Schon Anfang Februar beschloss der Bundesrat einstimmig, es müsse “alles dafür getan werden, dass Parteien, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, nicht mit staatlichen Mitteln in die Lage versetzt werden, ihre Ziele zu verwirklichen.” Auch die Bundesregierung will die “staatliche Direktinvestition in rechtsradikale Hetze” beenden, wie Justizminister Heiko Maas (SPD) vollmundig formulierte.

Was auf den ersten Blick einleuchtet, ja in der Öffentlichkeit auf breite Zustimmung stößt, erweist sich als Zerstörung fundamentaler Grundsätze. Unaufgebbare Grundlage der Demokratie ist die freie und gleiche Willensbildung des Volkes durch Wahlen (Grundgesetz-Artikel 20 Absatz 2). Die Parteien “wirken” an dieser Willensbildung “mit”. Die Parteienmitwirkung muss daher ebenfalls frei und gleich sein.

Die Befürworter der Neuregelung halten dem die “wehrhafte Demokratie” entgegen, ein wohlklingendes Scheinargument, das oft die Einschränkung von Bürgerrechten rechtfertigen soll. Parteien können zwar verboten werden, wenn sie mit Aussicht auf Erfolg verfassungswidrige Ziele verfolgen. Bis dahin muss aber der Gleichbehandlungsgrundsatz strikt eingehalten werden. Denn Parteien sind keine Staatsorgane, sondern freiwillige Selbstorganisationen mündiger Bürgerinnen und Bürger, die sich zur gemeinsamen Mitwirkung an der Willensbildung des Volkes zusammengeschlossen haben. Für sie müssen dieselben Prinzipien gelten wie für die politischen Rechte der Bürger und Bürgerinnen. Diese trifft aber gerade keine Verfassungstreuepflicht! Denn wie das Bundesverfassungsgericht sagt: das Grundgesetz erzwingt keine Werteloyalität, sondern vertraut auf freiwillige Zustimmung. Eine Verfassungstreuepflicht würde die Parteien also verstaatlichen und deren gesellschaftliche Verwurzelung kappen.

Die Mehrheitsparteien wollen einer Partei das Geld streichen, deren Ungefährlichkeit das Verfassungsgericht am 17. Januar festgestellt hatte. Bei der NPD bestünden keine “konkreten Anhaltspunkte von Gewicht”, dass sie ihre verfassungswidrigen Ziele durchsetzen könnte. Bei fehlender “Potenzialität” bedürfe es aber “des präventiven Schutzes durch ein Parteiverbot” nicht. Karlsruhe prägte einstmals den schönen Satz, das Grundgesetz vertraue “auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien”. Wann überhaupt, wenn nicht gegen bedeutungslose Parteien, sollte dieser Grundsatz ernst genommen werden? Spätestens der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dürfte die Abschaffung der Chancengleichheit als unverhältnismäßig verwerfen.

Auch wenn es im Falle der NPD die “Richtigen” trifft: Ein Blick in die deutsche Geschichte sollte eigentlich abschrecken, die unbedingte Parteiengleichheit aufzugeben. Die Ostdeutschen befreiten sich 1989 mit der Gründung staatsunabhängiger Vereine und Parteien, die Blockparteien emanzipierten sich von der “führenden Rolle” der SED, bis sie endlich freie Wahlen durchsetzten. Eine “gelenkte Demokratie”, in der bestimmte Ansichten bevorzugt, andere aber benachteiligt werden, widerspricht dem freiheitlichen Geist des Grundgesetzes. Mit dieser Grundgesetzänderung aber erklärt das großkoalitionäre politische Establishment der freien Willensbildung des Volkes das Misstrauen.

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