Ein Jahr Rot-Grün-Rot-Orange in Dresden

Seit einem Jahr kooperieren die Linken, Grünen, die SPD und die Piraten im Dresdner Stadtrat. Dies allein ist schon eine bemerkenswerte Nachricht, denn erstmals seit 1990 besteht in einer sächsischen Großstadt eine dauerhaft handlungsfähige Mehrheit links der CDU. Die rot-grün-rot-orangene Kooperation (RGRODD) ist auf die gesamte Wahlperiode bis 2019 angelegt und hat politische Ziele und ein Arbeitsprogramm vereinbart.

Welche Bewährungsproben hat die Kooperation bestanden, was hat sie geleistet und welche Niederlagen hat sie erlitten? Wird RGRODD den Herausforderungen gerecht, vor denen die Stadt Dresden steht? Kann sie in einer konservativen Stadt und gegen eine konservative Staatsregierung bestehen? Kann sie über ein ordentliches Regieren hinaus auch linke demokratisierende und sozial-ökologische Reformen durchsetzen? Welche Umstände ermöglichen die Kooperation? Welche inneren Verhältnisse stabilisieren oder gefährden sie? Und schließlich: Könnte RGR ein Modell für Sachsen werden?

Bericht: Ein Jahr Rot-Grün-Rot-Orange in Dresden als .pdf (10 S.)

I. Voraussetzungen und Vereinbarungen von RGRODD

1. Die Konstellation nach der Stadtratswahl vom Mai 2014

Die CDU blieb zwar bei der Stadtratswahl am 25. Mai 2014 mit 27,6% % und 21 der 70 Sitze stärkste politische Kraft in Dresden. Da die FDP aber von gut 12% auf 5% (3 Sitze) abstürzte, verlor sie ihre Mehrheit im Stadtrat. Zudem erreichte ein “Bürgerbündnis” 3,8%, die AfD 7% sowie die NPD 2,8%. Dagegen erreichten erstmals seit 1990 die Linken (20,9%) mit 15 Sitzen, die Grünen mit 11 (15,7%), die SPD (12,8%) mit 9 und die Piraten (3,3%) mit 2 Sitzen mit 37 Sitzen eine absolute Mehrheit.

Rotgrünrot erhielt also nur genau die Hälfte der Sitze, so dass erst der Einzug der Piraten in den Stadtrat eine Mehrheitsbildung links der CDU ermöglichte. Die beiden Piraten schlossen sich bald der Linken-Fraktion an, da sie keine eigene Fraktion bilden konnten.

Im Vorfeld der Wahlen hatten sich zumindest Linke und Grüne für eine rot-grün-rote Zusammenarbeit ausgesprochen. Dennoch erschien die Bildung der Kooperationsmehrheit im Sommer 2014 keineswegs ausgemacht, hatten doch Grüne und SPD den Haushalt 2013 / 14 zusammen mit der CDU verabschiedet und auch danach als sogenannte “Haushaltsmehrheit” punktuell zusammen gearbeitet. Zudem war während der Verhandlungen klar, dass sowohl SPD als auch Grüne auf Landesebene nach der Landtagswahl am 31. August eine Koalition mit der CDU eingehen wollten. Angesichts dieser Umstände überrascht die Schnelligkeit, mit der RGRO ihre Zusammenarbeit verhandelte.

2. Die Kooperationsvereinbarung vom August 2014

Die Kooperationsvereinbarung vom 12. August 2014 regelt im ersten Teil die Zusammenarbeit der Partner im Stadtrat, im zweiten Teil “wesentliche gemeinsame Ziele” und im dritten Teil ein Arbeitsprogramm mit 16 Punkten, die die Partner bis zum Sommer 2015 abarbeiten wollten. Im ersten Teil vereinbarten die Partner “die Umsetzung wesentlicher gemeinsamer Ziele und Projekte in der Regel in der Form interfraktioneller Anträge”, insbesondere der Gegenstände des Arbeitsprogramms. Für Streit- und grundsätzliche Fragen wird ein Kooperationsaussschuss aus jeweils einem Vertreter einer Fraktion und Partei gebildet, der auf Verlangen eines Partners innerhalb von drei Tagen einzuberufen ist.

Das Arbeitsprogramm korrigierte zunächst Fehlentscheidungen der schwarz-gelben Vorgängermehrheit. So stoppte die Kooperation den seit 1996 umstrittenen und überdimensioniertem Ausbau der Königsbrücker Straße durch das Stadtteilzentrum von Dresden-Neustadt und brachte eine stadtteilverträgliche Planung auf den Weg. Sie beendete die Planung eines großflächigen Einkaufsmarkts zwischen Neustadter Bahnhof und Pieschen und eine hochwassergefährdete Bebauung an der Elbe, die beide die Entwicklung eines urbanen Stadtteils verhindert hätten. Die Kooperation bekannte sich zudem zu positiven Entwicklungen wie die Verabschiedung eines schuldenfreien Haushalts, die Planung des Promenadenrings um die Innenstadt oder den Ausbau der Zentralhaltestelle Kesselsdorferstraße. Daneben stehen die großen strategischen Themen der Ortschaftsverfassung, der Schaffung einer Bürgerbeteiligungssatzung, der Einführung eines echten Sozialtickets und der Neugründung eines städtischen Wohnungsunternehmens (dazu unter III.).

RGRO in Dresden ist eine “Kooperation” und keine förmliche Koalition. Denn die Kooperationspartner haben sich nicht verpflichtetet, im Stadtrat nur gemeinsam abzustimmen. Stattdessen haben sie die gemeinsame Umsetzung politischer Ziele und des Arbeitsprogramms vereinbart; ansonsten haben sie sich nur zur Information über eigene Initiativen verpflichtet. Daher ist eine geteilte Abstimmung bei nicht ausdrücklich vereinbarten Projekten zulässig. Mit dieser Unterscheidung gewichtet die Vereinbarung die politischen Ziele, konzentriert die Zusammenarbeit auf die gemeinsam als wesentlich definierten Fragen, beschränkt das Konfliktpotential und erleichtert die Kompromissuche. Die Aufstellung des Arbeitsprogramms hat eine wohltuende disziplinierende Wirkung, wenn es zum Streit über weniger wichtige Punkte kommt. Denn jede Seite will die Umsetzung der ihr wichtigen kooperationsrelevanten Ziele nicht gefährden. Der Vertrag nimmt so auch Rücksicht auf das Selbstverständnis der in ihren Wahlkreis verankerten Stadträtinnen und Stadträte.

Entgegen dieser Offenheit ist aber in der Praxis der Stadtratsarbeit zu beobachten, dass sich die Kooperationsfraktionen auch bei nicht kooperationsrelevanten Gegenständen um ein gemeinsames Abstimmungsverhalten bemühen. Dies mag damit zusammenhängen, dass sonst die CDU zum entscheidenden politischen Faktor würde, und die Sorge über unübersehbare Kettenreaktionen des verärgerten überstimmten Partners überwiegt. In aller Regel stimmen Linke, Grüne und SPD im Stadtrat daher gemeinsam ab.

II. Bewährungsproben

1. Hauptsatzung und Haushalt

Die Kooperation beschloss bereits in der ersten Sitzung des neugewählten Stadtrats am 4. September 2015 wesentliche Elemente des Arbeitsprogramms: Einführung der Ortschaftsverfassung, Selbstverpflichtung zur Schaffung einer Bürgerbeteiligungssatzung und einen Bildungsausschuss, der die kita- und schulpolitischen Angelegenheiten bündelt. Die wichtigste Nagelprobe für die Handlungsfähigkeit der Kooperation stand aber im Dezember 2014 an: die Verabschiedung des Doppelhaushalts 2015/16.

Die Gegner der Kooperation setzten darauf, dass RGRO nicht in der Lage wäre, rechtzeitig einen Haushalt und ohne Neuverschuldung zu verabschieden. Damit wäre das konservative Zerrbild von den “linken Geldverschwendern” bestätigt worden. So lieferte Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann (CDU) die erforderlichen Eckdaten sehr spät und legte zudem keinen ausgeglichenen Haushaltsentwurf der Verwaltung vor. Zum Ausgleich schlug er entweder die Erhöhung der Grundsteuer oder die Verschiebung von Schulsanierungen vor. Beides kam für die Kooperation nicht in Betracht, da eine Grundsteuererhöhung auf die ohnehin steigenden Mieten durchgeschlagen wäre und der Aufschub der dringend erforderlichen Schulsanierungen ebenfalls vermieden werden musste. RGRO entschied sich daher für die Einführung einer Übernachtungssteuer für urlaubende Hotelgäste, nachdem kurz zuvor das Sächsische Oberverwaltungsgericht die Erhebung einer Kurtaxe erwartungsgemäß für rechtswidrig erklärt hatte.

Obwohl überfraktionell Konsens für eine finanzielle Heranziehung der Touristen bestand, verweigerte sich die CDU der Einführung einer Übernachtungssteuer. Weitere fehlende Mittel für den Haushaltsausgleich wurden mit Hilfe einer Streckung von Personalausgaben erreicht, was der Kooperation die Verärgerung des Personalrats einbrachte.

2. Flüchtlingspolitik im Zeichen von Pegida und Nazigewalt

Eine Analyse des ersten Jahres von RGRODD kann nicht ohne einen Blick auf die Bewegungen und Zustände auskommen, die Dresden seit dem Herbst 2014 bundesweit und international in Verruf gebracht haben. Die flüchtlingsfeindliche rechtspopulistische “Pegida”-Bewegung des vorbestraften Drogendealers Lutz Bachmann brachte auf ihrem Höhepunkt am 12. Januar 2015 25.000 Menschen auf die Straße. Die “patriotischen Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes” mobilisieren ein Milieu, dass sich von den Parteien nicht vertreten, den Medien nicht wahrgenommen und von den gesellschaftlichen Verhältnissen ausgegrenzt fühlt. Ihre Anhänger wenden sich von den Verfahren und Werten der Demokratie ab. Sie flüchten sich in das vermeintliche Idyll einer aggressiv gegen alles Fremde gewendeten deutschen Volksgemeinschaft, die sich unausgesprochen an den vermeintlich geordneten Verhältnissen in der DDR oder gleich am Naziregime orientiert. So erhielt die OB-Kandidatin von Pegida – aus Hamburg eingeflogen – im ersten Wahlgang immerhin fast 10% der Stimmen.

Wie sehr diese Stimmungslagen gerade in Dresden und seinem Umland verankert sind, zeigen die Demonstrationen, Anschläge und Ausschreitungen in Meissen, Freital, bei der Zeltstadt Dresden oder in Heidenau. Das Scheitern der “-gida”-Bewegungen anderswo beweist: Dresden mit seinem Umland ist die Hauptstadt dieser rechtspopulistischen Bewegung, die offenbar immer weiter in rassistische Gewalt abgleitet.

Die Partner hatten sich schon vor dem Aufkommen der Pegidisten in der Kooperationsvereinbarung zum Ziel gesetzt, dass “Weltoffenheit in Dresden nicht nur ein Bekenntnis, sondern gelebter Alltag” sein solle. “Dresdens Anspruch als weltoffene Stadt” solle “mit Leben erfüllt” werden, insbesondere mit einer “menschenwürdigen Behandlung von Flüchtlingen und einem konsequenten Eintreten gegen Neonazismus und Menschenfeindlichkeit.” Die erste Bewährungsprobe stand im Dezember 2014 bei der Verabschiedung des städtischen Flüchtlingsunterbringungskonzeptes an. Zuvor hatten örtliche Initiativen vor allem in Klotzsche, Laubegast und Pappritz gegen die Unterbringung von Flüchtlingen gehetzt.

CDU und FDP fügten sich dem Druck dieses Milieus, dass sie als ihr eigenes Wählerklientel erkannten, und lehnten das Unterbringungskonzept unter dem Vorwand mangelnder Bürgerinformation ab. Inzwischen ist dieses Konzept aufgrund der Vielzahl der Flüchtlinge längst überholt. (Zur Klarstellung: die unhaltbaren Zustände in der seit Ende Juli bestehenden Zeltstadt hat die Staatsregierung zu verantworten, nicht die Stadt). RGRO versucht die Lebensverhältnisse der zugewiesenen Flüchtlinge zu verbessen. So führte die Kooperation einen dynamischen Betreuungsschlüssel von 1 zu 100 ein und brachte Gesundheitsleistungen auf Krankenschein auf den Weg. Selbstverständlich hält die Kooperation am Leitbild dezentraler Unterbringung fest, der aber durch die massiv ansteigenden Flüchtlingszahlen kaum einzuhalten sein wird.

3. Neuzuschnitte der Geschäftsbereiche und Wahl der Bürgermeister

Für die Neuwahl der Bürgermeister im Sommer 2015 hatte sich RGRO über die Anzahl und Zuschnitte der Geschäftsbereiche zu verständigen und die Besetzung zu verabreden. Die Kooperation entschied sich entsprechend der Einführung eines Bildungsausschusses für einen Bildungsbürgermeister, der künftig den Kita- und den Schulbereich gemeinsam verwalten soll. Der Bereich Soziales erhielt die Zuständigkeit für Gesundheit und Wohnen. Sonst orientierte sich die Kooperation an den Zuschnitten, wie sie bis 2001 bestanden hatten: Dem Stadtentwicklungsbürgermeister wurde das Liegenschafts- und das Hochbauamt zurückgegeben. Der Bereich der Wirtschaftsförderung wurde wieder aus der Verbindung mit Umwelt gelöst und unmittelbar dem Geschäftsbereich der OB zugeordnet – in der Erwartung, dass die gemeinsame Kandidatin von RGRO die Oberbürgermeisterwahlen gewinnen würde. Die Linke erhielt das Zugriffsrecht für den Bürgermeister für Soziales sowie für Kultur, die Grünen für die Bürgermeister für Stadtentwicklung sowie für Umwelt und die SPD den Bürgermeister der zusammengelegten Ressorts für Allgemeine Verwaltung und Finanzen.

2001 und 2008 hatte die CDU und ihr Anhang die Fraktionen der Linken, der Grünen und der SPD bei der Besetzung der Bürgermeisterposten vollständig ausgeschlossen. Leider hatte das Sächsische Oberwaltungsgericht der Klage gegen diese den Vorstellungen der Gemeindeordnung widersprechenden Besetzungen nicht stattgegeben. Der Versuchung widerstehend es der schwarzen Seite mit gleicher Münze heimzuzahlen bot die Kooperation der CDU als stärkster Fraktion das Vorschlagsrecht für den Bildungsbürgermeister und den Bürgermeister für Ordnung und Sicherheit an.

Die Bereitschaft von RGRO zur kooperationsübergreifende Kompromissbildung ist allgemein sehr positiv aufgenommen worden. Sie überraschte sowohl die CDU als auch die örtlichen Medien, die bisher das Versprechen eines neuen Politikstil der Kooperation für bloße Rethorik gehalten hatten. Auch verwaltungsintern war zu spüren, dass nun die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem längeren Bestand des RGRO-Bündnisses rechneten. Gegen Widerstand in der eigenen Fraktion setzte der Vorsitzende Jan Donhauser die Zusammenarbeit mit RGRO durch und sicherte die Wahl auch der Kandidatinnen der anderen Fraktionen zu. Auf diese Weise kam die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu Stande, um eventuell eine Verweigerung des Einvernehmens des neuen OB zu überstimmen. Allerdings zeigte dann die Wahl am 6. August 2015, dass viele Mitglieder der CDU-Fraktion ihrem Vorsitzenden die Gefolgschaft verweigerten und ungültig, mit Enthaltung oder gar mit Nein stimmten.

4. Die verlorene Oberbürgermeisterin-Wahl

Linke, Grüne, SPD und Piraten hatten erstmals bei einer OB-Wahl von Anfang an eine Kandidatin gemeinsam unterstützt, die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Dr. Eva-Maria Stange (SPD). Den ersten Wahlgang hatte Stange noch mit 36% zu 31% geführt, am 5. Juli 2015 den zweiten aber klar mit 44% zu 56% gegen Dirk Hilbert (FDP) verloren. Stanges Niederlage ist auch eine der Kooperation. Etwa 20.000 Dresdnerinnen und Dresdner, die den Partnern von RGRO bei der Stadtratswahl ihre Stimme gegeben hatten, wählten deren gemeinsame Kandidatin nicht. RGRO hat sich der Frage zu stellen, ob die OB-Wahl wegen der Politik der Kooperation verloren wurde. Schwingt das Pendel der im Kern konservativ gestimmten Stadt Dresden schon zurück?

Diese Folgerung erscheint zu weitgehend. Imerhin sind OB-Wahlen Persönlichkeitswahlen mit eigenen Gesetzen. Zudem gab es zahlreiche unnötige wie ärgerliche Fehler und unprofessionelle Mängel der Wahlkampfführung des Wahlbündnisses und der Parteien. Die flächendeckende Plakatierung der Linken, der die Grünen und vor allem die SPD keine vergleichbare Präsenz an die Seite stellten, hat möglicherweise kontraproduktiv gewirkt. Leider verzichtete die Kandidatin bewusst auf eine thematische und persönliche Zuspitzung gegen ihre Gegner. Die Partner haben jedenfalls getrennt ein höheres Wählerpotential mobilisiert als bei diesem gemeinsamen Auftritt. So wählen offenbar Anhänger der Linken nicht ohne weiteres eine Kandidatin der SPD und manche Anhänger der Grünen und der SPD scheuen sich, ihre Stimme für eine auch von der Linken unterstützte Kandidatin abzugeben. Zudem dürfte die verlogene Kampagne konservativer Kreise wegen der SED-Mitgliedschaft der Kandidatin (Austritt 1988!) gewirkt haben. Trotz der Niederlage hat der OB-Wahlkampf die Kooperation emotional vertieft und gestärkt. Denn erstmals haben sich zahlreiche Parteimitglieder und Wahlkämpfer auf Stadtteilebene kennengelernt, zusammengerauft und für ein gemeinsames Ziel gekämpft. Nicht zufällig wählte die “alternative” Neustadt zu 80 % Eva-Maria Stange, in der die vier Parteien einen gemeinsamen Wahlkampf mit eigenem Plakat mit stadtteilspezifischen Themen geführt hatten.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Zusammenarbeit der Kooperation mit dem gewählten OB Dirk Hilbert entwickeln wird. Hilbert gab sich trotz langjähriger FDP-Mitgliedschaft als “unabhängiger” Kandidat aus, was ihm diejenigen nicht abnehmen, die ihn seit 2001 als Wirtschaftsbürgermeister kennen. Hilbert, der sich vor dem zweiten Wahlgang kaum merklich gegen die Unterstützung von Pegida wehrte, ist ein politisch eher profilarmer Mensch, der die Verbreitung guter Laune mit Politik verwechselt. Allerdings gerieten seine ersten Auftritte nach der Wahl unerwartet erfolgreich: In der ersten Sitzung des Stadtrats nach der Wahl hielt er eine bundesweit beachtete Rede gegen die unhaltbaren Zustände in der Dresdner Flüchtlingszeltstadt und erteilte sein Einvernehmen zur Wahl der Beigeordneten durch den Stadrat. Dirk Hilbert hat zu akzeptieren, dass der Stadtrat nach der Gemeindeordnung das Hauptorgan der Stadt ist und daher auch die Richtlinien der Politik bestimmt. Es ist zu hoffen, dass sich der neue OB auf die Führung der Verwaltung konzentriert und nicht versucht, die Politik von RGRO zu torpedieren.

III. Sozial- und demokratiepolitische Reformen

1. Erfüllungsstand des Arbeitsprogramms

Die Kooperation hat 14 der 16 Punkte des Arbeitsprogramm erledigt oder auf den Weg gebracht. So hat sie im Haushalt ein Sonderprogramm zur Sanierung von Schultoiletten beschlossen, eine Ombudsstelle für Hartz-IV-Betroffene eingerichtet, das Quartiersmanagement in sozialen Brennpunkten gestärkt und die Mittel für Rad- und Fußwege aufgestockt. Es ist bezeichnend für die Obstruktion der Verwaltung, dass sie diese Mittel bisher nicht ausgegeben hat. Das Heinrich-Schütz-Konservatorium, Stätte der musikalischen Jugendbildung, wurde in städtische Trägerschaft übernommen. Nicht erledigt ist die Fortschreibung der Informationsfreiheitssatzung.

Die Bewältigung des Tagesgeschäfts reicht aber nicht. Die Kooperation muss auch Reformen umsetzen, die die Verhältnisse verändern und den Bürgerinnen und Bürgern die Vorteile einer linksökologischen Stadtratsmehrheit im Unterschied zu einer konservativen zeigen. Dies ist das beste Mittel gegen die vielbeklagte Politikverdrossenheit, Wahlenthaltung und die Zustimmungskrise zur demokratischen Verfassung. Die Kooperation hat im ersten Jahr vor allem vier tiefgreifende Reformen auf den Weg gebracht: sozialpolitisch die Einführung eines echten Sozialtickets für den Dresdner ÖPNV und die Gründung eines städtischen Wohnungsbauunternehmens, demokratiepolitisch die Einführung der Ortschaftsverfassung und einer Bürgerbeteiligungssatzung.

2. Sozialticket und Sonntagsschließungen

Der Kooperation ist mit der Einführung eines echten Sozialtickets für den städtischen ÖPNV eine erhebliche sozialpolitische Kraftanstrengung gelungen. Sie versteht Mobilität als ein Grundbedürfnis, um gleiche Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. RGRO hat die Mittel für das Sozialticket im Haushalt um 700.000 € auf 1,24 Mio € im Jahr aufgestockt. Dresden-Pass-Inhaber, also Empfänger von Sozialhilfe, Hartz IV und nach dem Asylbwerberleistungsgesetz, können ab dem 1. November 2015 Abo-Monatskarten auf die Hälfte ermässigt für nur noch 19,50 (Stand Anfang 2015) erwerben. Bisher nutzen etwa ein Drittel der Berechtigten oder 6000 Personen diese Möglichkeit. Weitere 1500 Personen können die Bar-Monatskarte um ein Viertel ermässigt kaufen. Zudem haben die Vertreter von RGRO im Verkehrsverbund Oberelbe gegen das Kartell der Landräte des Umlands eine Absenkung der geplanten Preiserhöhung erreicht.

RGRO hat zudem – arbeitsmarktpolitisch von hoher symbolischer Bedeutung – die stadtweiten verkaufsoffenen Sonntage gestrichen und nur noch stadtteilbezogene Öffnungen zugelassen. Für die Verkäuferinnen und Verkäufer bedeutet dies eine erhebliche Entlastung in der Weihnachtszeit und für die inhabergeführten Geschäfte in den Stadteilen eine Hilfe im Wettbewerb mit den großflächigen Einkaufszentren. Allerdings gilt diese Regelung vorerst nur für 2015. Dennoch hat die Lobby großer Einkaufszentren unterstützt von FDP und CDU ein Bürgerbegehren dagegen eingeleitet. Doch gelang es dem bezahlten professionellen Werbepersonal nicht, in den großen Einkaufseinrichtungen die erforderliche Anzahl der Unterschriften zu sammeln. Obwohl der Stadtrat rechtlich verpflichtet war, das Bürgerbegehren nicht zuzulassen, versuchten FDP und CDU diese Entscheidung als skandalös und undemokratisch darzustellen.

3. Gründung eines städtischen Wohnungsunternehmens

Der Totalverkauf des kommunalen Dresdner Wohnbauunternehmens, der “Woba”, an einen amerikanischen Immobilienfonds im Jahre 2006 war eine großen politischen Auseinandersetzungen nach 1990, die zur Spaltung der damaligen PDS-Stadtratsfraktion führte. Zwar hatte der Verkaufserlös von 1,7 Mrd. € der Stadt erlaubt, die Schulden des Kernhaushalts zu tilgen. Zugleich hatte die Stadt so aber jede wohnungspolitische Handlungsfähigkeit aufgegeben. In der Folge veräußerte die Stadt Grundstücke ohne jede Rücksicht auf stadtentwicklerische oder soziale Ziele allein unter dem Aspekt des Verkaufserlöses. Die Wiedergewinnung der kommunalpolitischen Handlungsfähigkeit in wohnpolitischen Fragen war daher eine der zentralen Projekte von Linken, Grünen und SPD. Politische Beobachter führen den Wahlerfolg der Parteien links der CDU bei der Stadtratswahl vor allem darauf zurück.

So verständigte sich RGRO in der Kooperationsvereinbarung auf “eine aktive Wohnungspolitik” mit dem Ziel, “bezahlbares Wohnen für alle Dresdnerinnen und Dresdner sicherzustellen.” Dies solle auch mit der Gründung einer neuen Wohnungsgesellschaft und dem “Wiederaufbau eines kommunalen Wohnungsbestands” gefördert werden. Städtische Grundstücke sollten in die Gesellschaft eingebracht werden. Hintergrund sind die stark steigenden Mieten bei Neuvermietungen und der starke Rückgang günstigen Wohnraums für bestimmte Bedarfsgruppen. Die Kooperation hat im Doppelhaushalt 1 Mio € für die Gründung eingestellt. Der Umfang und die Finanzierung der Tätigkeit des Wohnungsunternehmens sind aber durchaus noch offen. Zwar soll das neue Unternehmen “ohne dauerhafte Finanzierung aus dem Stadthaushalt” auskommen, was aber durchaus eine gelegentliche Alimentierung aus dem Kernhaushalt sowie Kreditbürgschaften städtischer Gesellschaften offen lässt. Hier sind die eigentlichen Fragen für die haushaltspolitische Stabilität noch nicht geklärt.

Das die CDU ihre politische Linie ein Jahr nach der Stadtratswahl immer noch nicht gefunden hat, zeigt ihre schwankende Haltung in dieser Frage. Traditionell lehnte die CDU die Gründung einer “neuen Woba” als unnötig und Gefahr für die haushaltspolitische Stabilität ab. Eine Wende brachte der Vorstoß ihres OB-Kandidaten, des sächsischen Innenministers Markus Ulbig, der im Wahlkampf den Bau von 5000 neuen Wohnungen versprochen hatte. RGRO verhandelte deshalb nach der OB-Wahl am 5. Juli 2015 mit der CDU und erreichte tatsächlich eine Einigung der Fachpolitiker für einen konkreten Prüfungsauftrag zur Gründung einer städtischen Wohnungsgesellschaft. Partei und Fraktion der CDU verweigerten diesem Kompromiss aber die Zustimmung, obwohl RGRO die mit der CDU verhandelte Fassung zu Abstimmung stellte.

4. Einführung der Ortschaftsverfassung

Die Kooperation hat mit der Neufassung der Hauptsatzung im September 2014 die Ortschaftsverfassung in ganz Dresden eingeführt. Die Ortschaftsverfassung nach der Sächsischen Gemeindeordnung erlaubt die Direktwahl eines örtlichen Ortschaftsrats in einem Stadtteil, der eigene Entscheidungsrechte und Mitwirkungsrechte gegenüber dem Stadtrat hat. Die Ortschaftsverfassung galt bisher nur befristet in den Ende der Neunzigerjahre eingemeindeten Randbezirken Dresdens. Die Ortschaftsverfassung in ganz Dresden soll diesen unhaltbaren Zustand ungleichen Rechts beenden, die örtliche Vertretung der Bürgerinnen und Bürger stärken, den Stadtrat und die Verwaltung entlasten und zum demokratisch legitimatierten Ansatz für eine dezentralisierte Verwaltung werden. Die geänderte Hauptsatzung sieht zudem die Erweiterung der Entscheidungsrechte vor; auch soll der Ortschaftsrat über die Finanzierung örtlicher Projekte in einem vom Stadtrat gesetzten Rahmen beschließen können. Die Hauptsatzung sah zudem die Wahl der Ortschaftsräte in den bestehenden Stadtbezirken zugleich mit der Oberbürgermeisterwahl im Juni 2015 vor.

Derartig weitreichende demokratische Reformen passen nicht zum zentralistischen sächsischen Staatsverständnis. So glaubte denn auch die Landesdirektion als Rechtsaufsichtsbehörde, einen Verstoß gegen die Gemeindeordnung zu erkennen, und beanstandete förmlich die Haupsatzung. Im Laufe des Widerspruchsverfahrens akzeptierte die Landesdirektion schließlich die Einführung der Ortschaftsverfassung und griff nur noch die vorgesehene Wahl der Ortschaftsräte während der laufenden Wahlperiode des Stadtrats an. Die Kooperation hat auf erheblichen Druck der Grünen beschlossen, den Rechtsweg gegen den Widerspruchsbescheid der Landesdirektion zu beschreiten. Die demokratische Stärkung der Ortsteile muss daher solange warten, bis das Verwaltungsgericht zugunsten der Stadt entscheidet oder bis zu den Wahlen 2019. In der Zwischenzeit geht es darum, die weiteren Entscheidungsrechte auszuformen und die Zuweisung von Verwaltungsaufgaben vorzubereiten. Dieses Projekt kann nicht der zentralistisch gestimmten Rathausverwaltung überlassen bleiben, sondern muss auch die Stadtteilvertretungen einbeziehen.

5. Satzung für Bürgerbeteiligung

Die Kooperation hat sich vorgenommen, “für mehr Transparenz sowie eine frühzeitigere und umfangreichere Bürgerbeteiligung bei städtischen Planungen, beim Haushalt und in den Gremien des Stadtrates” zu sorgen. Das Arbeitsprogramm sah vor, eine Bürgerbeteiligungssatzung bis Juni 2015 zu beschließen. Der im September 2014 eingeführte § 6a der Hauptsatzung regelt bereits, dass “auf Beschluss des Stadtrates oder auf Antrag einer bestimmten Anzahl von Einwohnerinnen und Einwohnern” “unverzüglich ein Bürgerbeteiligungsverfahren für die gesamte Stadt oder bestimmte Stadtteile durchzuführen” sei. “Der Stadtrat soll unter Berücksichtigung der Ergebnisse eines Bürgerbeteiligungsverfahrens entscheiden.” Die Landesdirektion beanstandete auch diese Regelung mit dem seltsamen Argument, damit werde in den dem OB vorbehaltenen Verwaltungsbereich eingegriffen – und das, obwohl eine Satzung überhaupt noch nicht erlassen war. Auch hiergegen ist die Landeshauptstadt ins Klageverfahren gegangen.

Seit Jahren gehört die Forderung nach mehr “Bürgerbeteiligung” zu den Standardforderungen aller politischen Kräfte. Dabei bestehen im allgemeinen sehr diffuse und unterschiedliche Vorstellungen. Die Bürgerbeteiligung ist begrifflich klar von Bürgerentscheidungen abzugrenzen: Während bei Bürgerentscheidungen die Bürger selbst entscheiden, etwa in Wahlen oder Bürgerentscheiden, meint Bürgerbeteiligung die Beteiligung an Entscheidungen des Stadtrats oder der Verwaltung, bevor diese getroffen werden. Ende Mai 2015 haben die Fachpolitiker der Kooperationsfraktionen dazu ein Eckpunktepapier vorgelegt. In der Dresdner Bürgerbeteiligungssatzung soll der Anspruch auf Durchführung von Beteiligungsverfahren auf Nachweis des bürgerschaftlichen Interesses durch Unterschriften festgeschrieben werden. In diesem Fall tritt eine zeitlich begrenzte Entscheidungssperre in Kraft, in der entweder Verfahren zur Information der Bürger oder Verfahren durchgeführt werden, mit dem die Bürger eine bestimmte Entscheidung empfehlen. Bürgerempfehlungen sollen in eine Stadtratsvorlage münden, über die der Stadtrat zu entscheiden hat. Die Verabschiedung einer Bürgerbeteiligungssatzung nach einem breiten öffentlichen Diskussionsprozess steht für das zweite Halbjahr 2015 an vorderster Stelle. Eine gelungene Regelung könnte dem Prozess der demokratischen Willensbildung zwischen den Wahlen mit frischem Wind beleben.

IV. Zur inneren Stabilität und Mechanik der Kooperation

1. Kräfteverhältnisse zwischen Rot-Grün-Rot

Die internen Kräfteverhältnisse, wie sie die Wählerinnen und Wähler entschieden haben, tragen entscheidend zur inneren Stabilität der rot-grün-rot-orangenen Kooperation bei. Denn letztlich haben alle Partner keine realen Optionen für eine andere Mehrheitsbildung. Die Linke kann nur mit Grünen und SPD gemeinsam gegen die CDU regieren. Ein Zusammengehen der CDU und der PDS wie zu Zeiten des Woba-Verkaufs 2005 bis 2009 erscheint politisch wie emotional ausgeschlossen. Die CDU kann nur gemeinsam mit Grünen und SPD gegen die Linke eine Mehrheit bilden, es sei denn, die SPD wäre bereit, mit AfD und CDU gemeinsam zu regieren. Die SPD-Basis macht zwar bekanntermaßen vieles mit, eine Koalition mit der Petry-AfD erscheint aber doch unvorstellbar. Die SPD ist daher nicht mehr wie lange in Dresden Zünglein an der Waage der Mehrheitsbildung. Die Grünen haben damit die Schlüsselstellung inne, denn die SPD kann nur gemeinsam mit den Grünen zur CDU springen. Solange daher die internen Mehrheiten in der grünen und der sozialdemokratischen Fraktion für ein Linksbündnis eintreten, wird die Kooperation stabil bleiben. Dies setzt allerdings voraus, dass die Linke als stärkste Kraft vor allem haushaltspolitisch die beiden Partner nicht überfordert.

2. Profilierungskämpfe und fachpolitische Zusammenarbeit

Die ersten Monate waren stark von den Profilierungskämpfen und ja – auch von den Eitelkeiten mancher Fraktions- und Parteivorsitzenden – geprägt, die ihr Selbstbild von der eigenen Bedeutung mit den Anforderungen an eine ergebnisorientierte Zusammenarbeit in Einklang bringen mussten. Dabei sollte das Bedürfnis nach parteipolitischer Profilierung nicht als charakterliches Defizit denunziert werden, sondern als notwendige Austarierung der eigenen Durchsetzungsfähigkeit im Interesse der Integration der eigenen Fraktion und Anhängerschaft begriffen werden. Die gemeinsame beglückende Erfahrung der Stadträtinnen und Stadträte, die Abstimmungen im Stadtrat zu gewinnen, stabilisierte die Kooperation zunehmend. Die immer bessere Zusammenarbeit der Fachpolitiker glättete die Wogen zunehmend. Sind sich die Fachpolitiker einig, steigen die Aussichten enorm, dass die drei Fraktionen im Stadtrat ohne Befassung der “Elefantenrunde” der gemeinsam gefundenen Haltung zustimmen. Allerdings hängt der Erfolg der fachpolitischen Kooperation von den Zufälligkeiten des jeweiligen Zeitbudget, politischer Erfahrung und des politischen Gestaltungsanspruchs der Beteiligten ab.

3. Selbstverständnis der Stadträte und Entscheidungsschwäche

Neben Unerfahrenheit und Zeitmangel erscheint vor allem das unterschiedliche Selbstverständnis über die Aufgabe eines Stadtrats in einer Gestaltungsmehrheit die grösste Gefahr für den Bestand der Kooperation. Zwar legt die Gemeindeordnung ausdrücklich fest, dass der Stadtrat das “Hauptorgan” der Stadt ist, dass alle “wesentlichen” Entscheidungen trifft. Dem steht der Oberbürgermeister mit seiner Verwaltung gegenüber, der zwar durch seine Direktwahl über eine eigene demokratische Legitimation verfügt, aber dennoch zur Ausführung der Beschlüsse des Stadtrats verpflichtet ist. Der Stadtrat ist also das Leitungs- und Entscheidungsorgan mit Richtlinienkompetenz für die Politik der Stadt.

Demgegenüber meinen manche Stadträte aller politischen Lager, ihre Aufgabe sei die eines bloßen Hilfs- und Korrekturorgans für den OB mit seiner Verwaltung. Hinzu tritt der weit verbreitete Irrtum von der Möglichkeit und Notwendigkeit “unpolitischer” Sachentscheidungen auf kommunaler Ebene, der individuell natürlich von der Verantwortung entlastet, der man eigentlich gerecht werden müsste. Diese Fehlverständnisse führen vor allem zu einer Entscheidungsblockade, nicht so sehr wegen unterschiedlicher politischer Ansichten, sondern weil man politische Auseinandersetzungen scheut und die Initiative lieber der Verwaltung überlassen möchte. So hat die Kooperation im ersten Jahr ihre entscheidenden Bewährungsproben bestanden, aber bisher bei den vielen kleinen Alltagsentscheidungen das Heft des Handelns nicht in die Hand genommen.

4. Politische Schwäche der CDU

Die CDU hat den Verlust ihrer Regierungsmehrheit auch ein Jahr nach der Stadtratswahl nicht verwunden oder verarbeitet. Obwohl sie die stärkste Fraktion stellt, kann sie aus eigener Kraft keine Mehrheit bilden. Erst wenn sich die Kooperationsfraktionen nicht einig sind, erhält sie die Chance Einfluss zu nehmen. Dieses strategische Dilemma verstärkt sie mit schwerwiegenden Fehleinschätzungen. Denn die Konservativen setzen darauf, dass Grüne und SPD das Bündnis mit der Linken irgendwann satt haben und bei ihnen anklopfen würden. Grüne wie Sozialdemokraten sind aber in ihrem Selbstverständnis Programmparteien, die Bündnisse von inhaltlichen Fragen und nicht von emotionalen Befindlichkeiten abhängig machen. Emotional hat sich ja auch so einiges gegen die CDU aufgestaut, die ihre Mehrheiten immer rücksichtslos durchgezogen hat. Der CDU fallen diese Einsichten schwer, weil sie selbst nicht als Programmpartei, sondern als Regierungspartei funktioniert. Ihre strategischen Überlegungen machen sich von dem traditionellem Feindbild Linke, die oft umstandslos mit der SED identifiziert wird, nicht frei. Die CDU kommt so gar nicht auf die Idee, dass man Grünen und SPD bessere inhaltliche Angebote machen müsste als die Linke, um sie aus der Kooperation zu lösen. Die CDU erweist sich insgesamt als strategieunfähig und in der Zusammenarbeit mit der Kooperation als kompromissunfähig, insgesamt als regierungsunfähig. Dresden braucht in der Tat eine bessere Opposition!

5. Mangelnde Breitenwirkung in die eigenen Milieus und die Dresdener Gesellschaft

Eine Reform-Kooperation hat im Gegenwind der Staatsregierung, des konservativen Establishments und der Boulevardpresse auf Dauer nur dann eine Chance, wenn sie Breiten- und Tiefenwirkung in die eigenen Milieus und darüber hinaus in die Gesellschaft hinein entfaltet. Hierfür hat die Kooperation noch keine gemeinsamen, systematischen und strukturierten Mittel gefunden. Die Information über die eigene politische Arbeit bleibt den mehr oder weniger geeigneten Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Partner überlassen. Eine strukturierte öffentliche Debatte über zentrale oder umstrittene Projekte findet nicht statt, ja mitunter werden sie aus verletzter Eitelkeit von einem Partner sogar torpediert. Die Kooperation vergibt so die Chance, die durchaus vorhandene Bereitschaft zur Mitarbeit und Unterstützung in der Bevölkerung zu mobilisieren. Das RGRODD-Projekt kann auf Dauer aber nur erfolgreich sein, wenn sie aus dem Hinterzimmern und Grabenkämpfen des Rathauses den Weg in die öffentliche Debatte findet und diese besteht.

V. Ausblick

Die Kooperation war unter dem Strich durchaus erfolgreich. Ihr grösster Erfolg ist, dass sie überhaupt noch besteht und aufgrund gemeinsamer Erfolge und des gemeinsam geführten OB-Wahlkampfs gefestigter als vor einem Jahr erscheint. Allerdings hat sie von den strategischen Themen nur die Einführung des neuen Sozialtickets ab 1. November 2015 abgeschlossen. Dagegen hat sie bei den Themen Ortschaftsverfassung, Bürgerbeteiligung und Wohnungsuntermehmen erst entscheidende Schritte eingeleitet, so dass die Reformen noch nicht für die Bürgerinnen und Bürger spürbar wirksam geworden sind. Eine Hypothek ist die Langsamkeit der rot-grün-rot-orangenen Entscheidungsfindung bei vielen kleineren Themen und der fehlende strategische Ansatz bei der Verbreiterung der gesellschaftlichen Basis des Rathausbündnisses.

Bisher hat sich die Kooperation keine strategischen Schritte in Richtung einer ökologischeren Stadt vorgenommen. Auch die Absichtserklärung für eine bessere Energieeinsparung auf öffentlichen Gebäuden oder für eine Beschleunigung der Nutzung solarer Energie im Arbeitsprogramm ist bisher nicht umgesetzt worden. Allerdings sind dafür erst jetzt mit der Wahl eines grünen Bürgermeisters für Stadtentwicklung, dem auch das Liegenschafts- und das Hochbauamt zugeordnet ist, die Voraussetzungen geschaffen worden. Künftig gilt es auf die städtischen Energieunternehmen Drewag und Enso mehr Einfluss zu nehmen, um diese für mehr Engagement beim Aufbau erneuerbarer Energien und effizienter Energieanwendung zu gewinnen. Dresden hat mit ca. 3% einen beklagenswert niedrigen Anteil an Erneuerbaren Energien.

In der Stadtentwicklungspolitik wird es darum gehen, das Leitbild der kompakten Stadt der kurzen Wege durchzusetzen. Der Landschaftsplan propagiert zwar die Stadt im “ökologischen Netz”, setzt dieses aber weder verbindlich noch konkret in der Fläche noch mit quantifizierten Wirkungen multifunktionaler Grünzonen um. Landschaftsplan und Flächennutzungsplan sind diesbezüglich zu überarbeiten. Dabei gilt es überhaupt erst einmal die Idee multifunktionaler Grünzonen als verbindliches Element der Stadtplanung in den Köpfen der Verwaltung und der Stadträte durchzusetzen.

Es ist noch zu früh, eine Prognose für landespolitische Wirkungen der Kooperation abzugeben. Leider ist eine Unterstützung der Dresdener Kooperation durch die SPD als Koalitionspartner in der Staatsregierung bisher nicht erkennbar. Dies illustriert sowohl die fatale strategische Fixierung der SPD auf die CDU, als auch ihre reale Handlungsmacht in der Staatsregierung. Immerhin wird die Kooperation über Dresden hinaus mit Interesse beobachtet. Eine politische Sogwirkung des RGRO-Modells setzte aber landesweit sichtbare Erfolge der Kooperation voraus. Diese allein könnten die auf eine Zusammenarbeit mit der CDU fixierten Führungen von SPD und Grünen auf Landesebene zwingen, sich einem r2g-Modell auf Landesebene zu öffnen. Die Dresdner Partner von RGRO haben es in der Hand mit einer erfolgreichen Politik die einbetonierten Verhältnisse auf Landesebene zu sprengen und für 2019 eine glaubwürdige Regierungsalternative jenseits der CDU aufzubauen.

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