Neue Anläufe für die kommunale Demokratie im Koalitionsvertrag

Sachsenkenia hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf Information, auf Beteiligung an den Entscheidungen des Gemeinderats und des Bürgermeisters sowie auf eigene Sachentscheidungen zu erweitern. Fraktionen sollen schon ab 5% der Sitze gebildet werden. Jede Fraktion soll Einsicht in Verwaltungsakten nehmen können.

1. Neue Quoren für Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

Die Chancen steigen, einen erfolgreichen Bürgerentscheid anzuschieben. Das Quorum für ein Bürgerbegehren, dass zur Durchführung eines Bürgerentscheids verpflichtet, wird nun für alle Kommunen verbindlich auf 5% der Bürgerinnen und Bürger abgesenkt. Bisher konnten die Gemeinden entscheiden, ob ein Bürgerbegehren zwischen 5 oder bis zu 15% der Unterschriften erhalten muss. Die kreisfreien Städte und die Landkreise sollen das Recht erhalten, dass Quorum für eine Sachentscheidung in einem Bürgerentscheid von 25% auf 15% abzusenken (S.57).

Der Koalitionsvertrag verweigert das Recht auf Absenkung des Entscheidungsqurorums also den kreisangehörigen Gemeinden. Benachteiligt werden so vor allem die seit der Gebietsreform 2008 kreisangehörigen Städte Görlitz, Plauen und Zwickau mit einer Einwohneranzahl zwischen 55.000 bis 90.000 Einwohnern. Für den Erfolg eines Bürgerentscheids sind in Zwickau (90.000 Einwohner) etwa 23.000 Stimmen erforderlich, während in Chemnitz mit etwa 240.000 Einwohnern künftig etwa 36.000 Stimmen ausreichen. Wie schon bei der Novelle des Rechts der Stadtteilvertretungen von 2018 werden die Rechtsunterschiede zwischen den Gemeinden vergrößert.

2. Der Kampf um mehr Bürgerbeteiligung

Seit 2008 setzen sich Grüne für die Einführung wirksamer Bürgerbeteiligungsrechte in der Gemeindeordnung ein. Nach langem Kampf hat der Dresdener Stadtrat im Frühjahr 2019 endlich eine moderne Bürgerbeteiligungssatzung beschlossen. Leider hat die Stadtverwaltung ihre Pflichten zur Veröffentlichung einer Vorhabenliste oder der Einrichtung einer Bürgerbeteiligungsstelle noch nicht erfüllt. Wie nicht anders zu erwarten, erhebt die Landesdirektion unberechtigte rechtliche Einwände. Nach dem Koalitionsvertrag sollen den “Einwohnerinnen und Einwohnern rechtssicher verbindliche Beteiligungs- und Informationsverfahren” eingeräumt werden. Ob dazu wirklich ein “Erfahrungs- und Beratungsnetzwerks Bürgerbeteiligung”, “welches die Kommunen bei entsprechenden Verfahren berät” erforderlich oder nicht gar kontraproduktiv ist, wird sich zeigen müssen.

3. Anforderungen an eine Neuregelung in der Gemeindeordnung

Wichtiger ist eine rechtstechnisch saubere Regelung in der Gemeindeordnung, denn eine fehlerhafte Neuregelung könnte die kommunalen Handlungsmöglichkeiten sogar weiter einschränken als bisher. Hier steckt der Teufel in jedem Detail.

Zunächst ist darauf zu achten, dass der Begriff der “Bürgerbeteiligung” nicht einengend definiert, sondern den Gemeinden ein Beteiligungserfindungsrecht eingeräumt wird. Dies wird nur durch den Umfang der Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinde selbst und den Letztentscheidungsrechten des Bürgermeisters und des Gemeinderats begrenzt. Weiter ist ausdrücklich klarzustellen, dass auch im Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters, also im Bereich der laufenden Verwaltung, Bürgerbeteiligungsverfahren zulässig sind. Auch dies bestreitet die Landesdirektion.

Drittens ist die Neuregelung so einzufügen, dass vorhandene Bürgerbeteiligungsregeln wie Bürgerantrag und Bürgerversammlung nicht als abschließende Regeln missverstanden werden können. Die bestehenden Bürgerbeteiligungsregeln in der Gemeindeordnung sind gesetzlich als landesweiter Mindeststandard zu bezeichnen, wenn die Gemeinden keinen Gebrauch von ihrem Recht machen, eine Bürgerbeteiligungssatzung einzuführen. Wenn es etwa im Koalitionsvertrag heißt, zweimal im Jahr “solle” eine Bürgerversammlung stattfinden und das Quorum dafür solle auf 5% gesenkt werden, darf dies nicht weitere Bürgerversammlungen oder mit geringeren Einberufungsquoren im Rahmen einer kommunalen Bürgerbeteiligungssatzung ausschließen.

Schließlich sollte das Recht auf Einführung eines aufschiebenden Wirkung einer Bürgerempfehlung und seine Höchstdauer ausdrücklich geregelt werden. In Abwägung mit dem Letztentscheidungsrecht des zuständigen Gemeindeorgans erscheint eine Höchstdauer von 6 bis 8 Wochen angemessen.

4. Bürgerbudgets

Die Koalition hat die Einführung sogenannter “Bürgerbudgets als Möglichkeit der Bürgerbeteiligung” ab 2021 versprochen, mit denen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten sollen, “eigene Ideen in konkreten Projekten einfach und basisdemokratisch umzusetzen. Diese Gelder werden in einem unbürokratischen Verfahren bereitgestellt und abgerechnet werden” (S.57). Diese Idee geistert seit etwa 20 Jahren durch die Debatte um die kommunale Bürgerbeteiligung, kann aber nur im Rahmen des Haushalt- und Budgetrechts des Gemeinderats zulässig sein. Aufweichungen sind demokratierechtlich und -politisch durchaus gefährlich, da über die Ausgaben eines “Bürgerbudgets” gerade nicht das “Gesamtvolk”, sondern eine viel kleinere Anzahl, etwa der gerade Anwesenden, entscheidet.

Vorzugswürdig erscheint daher der Weg, der in Dresden seit 2019 beschritten wird: Die im Mai 2019 erstmals direkt gewählten Stadtbezirksbeiräte erhalten vom Stadtrat ein an der Einwohnerzahl bemessenes und auf die Zuständigkeit des Stadtbezirksbeirats beschränktes Budget, das sie durch Beschluss verteilen. Dennoch erscheint ein Bürgerbudget nicht unzulässig, wenn es auf überschaubare örtliche Angelegenheiten und in der Summe beschränkt ausdrücklich in der Gemeindeordnung verankert wird und vom Gemeinderat betrags- und dem Zwecke nach ausdrücklich zugewiesen wird.

5. Das Trauerspiel um die Ortschaftsverfassung

CDU und SPD hatten zum 1.1.2018 eine Reform der Gemeindeordnung durchgedrückt, die die Ungleichbehandlung der Stadtteilvertretungen festschrieb. Den kreisfreien Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz wurde ausdrücklich verboten, Ortschaftsverfassungen auf ihrem Kerngebiet einzuführen. Anlass war die Entscheidung des rot-grün-roten Dresdner Stadtrats von 2014, im gesamten Stadtgebiet Ortschaftsverfassungen einzuführen. Dagegen rebellierten die nach 1998 eingemeindeten Randstadtteile, angeführt vom Langebrücker Ortsamtsleiter und CDU – Fraktionsvorsitzenden Christian Hartmann, weil sie ihre Privilegien gegenüber den innerstädtischen Stadtteilen bewahren wollten. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, der Dresden-Plauener Albrecht Pallas, reichte seine Hand zu diesem üblen Spiel. Leider war dieser Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung Linken und Grünen im Landtag nicht wichtig genug, um ihn verfassungsgerichtlich überprüfen zu lassen.1 Auch im Landtagswahlprogramm war dazu bezeichnenderweise nichts zu lesen.

Entsprechend dünn ist der Koalitionsvertrag an dieser Stelle: “Die vielfältigen Erfahrungen mit der Ortschaftsverfassung und der neuen Stadtbezirksverfassung werden wir mit dem Ziel evaluieren, die Rechte der Stadtbezirke und ihrer Räte weiter anzugleichen”. Grüne akzeptieren also die bestehende Regelung mit ihren Eingriffen in die kommunale Selbstverwaltung. Erstmal sollen die Regelungen “evakuiert” werden. Das ist unnötig weil sich die Ungleichbehandlung aus dem Gesetz ergibt. Eine Evaluation dauert jedenfalls, und darum geht es offensichtlich. “Ziel der Evakuierung” soll die “weitere Angleichung” der Rechte der Stadtbezirke und Ortschaften sein. Offenbar will man sich darauf beschränken, den Stadtbezirksbeiräten die eine oder andere weitere Zuständigkeit im einzelnen zu gewähren. Entscheidend wäre aber, dass die Gemeindeordnung den Gemeinderäten das Recht gibt, den Stadtbezirken wie den Ortschaften nach eigenem Ermessen durch Satzung weitere Aufgaben zuzuweisen. In anderen Bundesländern ist das üblich, widerspricht aber den typisch sächsischen zentralistischen Reflexen. Man gewinnt den Eindruck, dass den grünen Verhandlern diese Zusammenhänge nicht bewusst sind.

Fazit

Die Vereinbarungen bieten die Chance, den Prozess der politischen Meinungsbildung in der Kommune für breitere Kreise zu öffnen und insgesamt zu beleben. Allerdings bleibt abzuwarten, wie die Regelungen im Einzelnen ausfallen – und wann sie überhaupt kommen! Die grüne Justizministerin soll dem Titel nach auch für “Demokratie” zuständig sein. Wie zu hören ist, gehört dazu aber nicht die Zuständigkeit für die Reform der Gemeindeordnung. Das CDU-geführte Innenministerium hat daher die Möglichkeit, die Novelle auf die lange Bank zu schieben.

1Zu den Rechtsfragen mein Aufsatz in den Sächsischen Verwaltungsblättern 2018.

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