Wie Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Seenotrettung im Mittelmeer verhindern will

Zur Änderung der Schiffssicherheitsverordnung

zuerst veröffentlicht am 9.6.2020

Der deutsche Staat legt humanitären Seenotrettungsvereinen Steine in den Weg, wo er kann. So hat er jüngst die Schiffssicherheitsverordnung geändert, um die Mission des neuen Rettungsschiffs von Mission Lifeline, der „Rise Above“, zu vereiteln.

  1. Die Entscheidung des OVG Hamburg zur Festsetzung der „Mare Liberum“
    Zur Vorgeschichte: Im April 2019 untersagte die „Berufsgenossenschaft Verkehr“ als zuständige Behörde das Auslaufen der „Mare Liberum“. Sie stützte ihr Verbot auf die vorgesehene Verwendung als Seenotrettungsschiff: Weil das Boot nicht für „Sport- und Freizeitzwecke“ eingesetzt werde, brauche es ein Schiffssicherheitszeugnis. Da Sicherheitszeugnisse nur für Schiffe zu beruflichen Zwecken erforderlich waren, aber nicht für Boote zu „Sport- und Freizeitzwecken“, konnten die Eigner keines vorweisen. Der Verein „Mare Liberum“ klagte gegen die Festhalteverfügung und bekam im September 2019 recht. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg entschied, „Freizeit“ könne „der Erholung von den Anstrengungen beruflicher oder sonstiger Verpflichtungen dienen, ist aber nicht darauf beschränkt. Sie erfasst zudem der persönlichen Entfaltung dienende kommunikative, kulturelle, politische und sportliche Tätigkeiten, was gemeinnützige und humanitäre Tätigkeiten ohne weiteres einschließt“ (OVG Hamburg, Beschluss vom 5.9.2019, 3 Bs 124/19, S.9f.). Das Oberverwaltungsgericht stellte also fest, dass Seenotrettungsmissionen auch mit Sportbooten und Kleinfahrzeugen ohne Sicherheitszeugnis zulässig sind.
  2. „Risikogerechte“ Behandlung in der neuen SchiffssicherheitsVO?
    Der Bundesregierung passt diese Entscheidung nicht. Das zuständige Bundesverkehrsministerium ersetzte Anfang März die Formulierung „Sport- und Freizeitzwecke“ durch „Sport- und Erholungszwecke“ (Bundesgesetzblatt I 2020, 412). Daher müssen jetzt Boote, die zwar nicht beruflichen Zwecken, aber auch nicht Sport und Erholung dienen, nun doch ein Schiffssicherheitszeugnis vorlegen. Die Bundesregierung ändert also das Recht, um die höchstrichterliche Entscheidung des OVG Hamburg auszuhebeln.

Mit Schreiben vom 6. April 2020 teilt die „Berufsgenossenschaft Verkehr“ dem Verein Mission Lifeline mit, dass „die Befreiung von der Zeugnispflicht für nicht gewerbsmäßig eingesetzte Kleinfahrzeuge oder Sportboote nunmehr an die Verwendung ausschließlich für Sport- und Erholungszwecke“ anknüpfe. Dagegen sollen „Kleinfahrzeuge und Sportboote, die von Vereinen und Privatpersonen zielgerichtet z.B. im Bereich des Umweltschutzes, der Seenotrettung inklusive Beobachtungsmissionen oder anderer humanitärer Zwecke eingesetzt werden, hingegen risikogerecht nach dem auch für die Berufsschifffahrt geltenden Recht behandelt werden.“

Die Berufsgenossenschaft behauptet die Notwendigkeit eines Sicherheitszeugnisses: Eine Ausnahme von den Anforderungen sei nur gerechtfertigt, „wenn das Risikoprofil eines Schiffes aufgrund des Einsatzzweckes signifikant geringer ist als in allen anderen geregelten Fällen.“ Ein derart „höheres Sicherheitsrisiko für die Sicherheit der Personen an Bord, der Schiffe und der Schifffahrt“ bestehe „insbesondere auch für die von Vereinen und Privatpersonen im Bereich des Umweltschutzes, der Seenotrettung, inklusive Beobachtungsmissionen, oder anderer humanitärer Zwecke eingesetzten Schiffe.“

  1. Betroffenheit der „Rise Above“ von Mission Lifeline
    Der Dresdner Seenotrettungsverein Mission Lifeline hat Ende 2019 das ehemalige Torpedofangboot der Bundeswehr „Rise Above“ gekauft und rüstet es derzeit für die Seenotrettung im Mittelmeer aus. Nach der neuen Verordnung benötigt Mission Lifeline jetzt ein Sicherheitszeugnis – mit erheblichen zusätzlichen Kosten! Der Verein hat daher ein Rechtsgutachten der renommierten auf Seerecht spezialisierten Hamburger Anwaltskanzlei Günther in Auftrag gegeben, die bereits das Urteil des OVG Hamburg erstritten hat. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die neue Sicherheitsverordnung rechtswidrig sein dürfte.
  2. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Zulässigkeit der Änderung
    Das Bundesverkehrsministerium hebt die Gleichbehandlung der Seenotrettung mit Sport auf und stellt diese einer beruflichen und gewerblichen Verwendung gleich. Das generelle typische Risiko einer Sportnutzung sei „signifikant geringer“ als das einer beruflichen, gewerblichen oder humanitären Verwendung. Der Verordnungsgeber ist zwar im Grundsatz zur Aufstellung unterschiedlicher Fallgruppen berechtigt. Doch darf die Regelung das Grundrecht des Eigners auf Nutzung seines Eigentums sowie auf Gleichbehandlung nicht verletzen. Die Fallgruppen müssen daher dem Zweck der Festlegung von Sicherheitsanforderungen entsprechen. Die Regelungen müssen verhältnismäßig und angemessen sein und dürfen den Eigentümer nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandeln.
  3. Sicherheit als Ermächtigungszweck nach Seeaufgabengesetz
    Die Änderung der Schiffssicherheitsverordnung beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Seeaufgabengesetzes. Danach kann das Bundesverkehrsministerium „zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Seeverkehrs, zur Abwehr von Gefahren für die Meeresumwelt, zur Verhütung von der Seeschifffahrt ausgehender schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und zur Gewährleistung eines sicheren, effizienten und gefahrlosen Schiffsbetriebs“ Rechtsverordnungen über Sicherheitsanforderungen erlassen. Die Sicherheitsanforderungen dürfen aber nur der Abwehr von Gefahren für die Besatzung, für andere Schiffe oder die Meeresumwelt dienen. Andere Zwecke sind sachfremd und nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Daher ist klar: Das Verkehrsministerium darf Schiffe nicht strenger behandeln, nur weil sie zu humanitären Seenotrettungsmissionen verwendet werden.
  4. Sind Rettungsschiffe generell gefährlicher als Sportboote?
    Die entscheidende Frage ist also, ob humanitäre Missionen typischerweise höhere Gefahren für Besatzung und den Schiffsverkehr aufweisen als Fahrten zu Sport und Erholungszwecken. Die Risikoeinordnung des Verkehrsministeriums ist von den Fakten nicht gedeckt. Bisher ist nicht bekannt geworden, dass humanitäre Seenotrettungsboote Seeunfälle verursacht hätten. Der Einsatz der vom Rettungsschiff ablegenden Schlauchboote, die die in Seenot befindlichen Menschen in den seeuntauglichen Rubberboats aufnehmen, ist gefährlich für die Besatzung, nicht aber der Aufenthalt auf dem Rettungsschiff selbst. Das Leben der Geretteten und der Besatzung an Bord eines Rettungsschiffs kann durch Überfüllung gefährdet werden, wenn Malta und Italien ihre Häfen schließen. Das hat aber nichts mit der Schiffssicherheit zu tun. Dass es Andreas Scheuer gerade um die Verhinderung von Seenotrettung überhaupt geht, beweist die ausdrückliche Einbeziehung bloßer Beobachtungsmissionen in die Neuregelung. Die Verwendung von Booten zu Sportzwecken ist keineswegs generell ungefährlicher. Motorbootrennen, Hochseeangeln oder Segelyachten sind für Besatzungen und andere Schiffe durchaus riskanter als umgebaute Fischkutter oder Torpedofangboote der Bundeswehr wie die „Rise Above“ von Mission Lifeline.

Fazit
Die neue Sicherheitsverordnung kann nicht auf die Ermächtigungsgrundlage des Seeaufgabengesetzes gestützt werden. Sie greift unverhältnismäßig und unangemessen in das Eigentumsrecht von Mission Lifeline nach Art. 14 GG ein und verletzt deren Anspruch auf Gleichbehandlung nach Art. 3 GG. Die Bundesregierung zwingt Mission Lifeline in einen Rechtsstreit, der Zeit kostet und ein weiteres Rettungsschiff lahmlegt. Während die EU im Rettungsgebiet vor der libyschen Küste ihre eigenen Schiffe zurückzieht, zieht Deutschland zu Hause alle Register, um private Rettungsmissionen mit rechtlichen Tricks zu verhindern. Die Änderung der Schiffssicherheitsverordnung markiert den Übergang von unterlassener Hilfeleistung zu aktiver staatlicher Verhinderung der Seenotrettung.

twitter