Akteurszentrierte Analyse der Handlungsmöglichkeiten gegen “Pegida”

In Reaktion auf die Petition der banda habe ich den folgenden Text Ende August verfasst und der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Stadtrat Dresden sowie einigen Parteimitgliedern zur Diskussion zur Verfügung gestellt. Nach drei Monaten kann ich feststellen, dass er dort ohne Resonanz geblieben ist. Daher veröffentliche ich ihn jetzt, in der Hoffnung, doch noch eine Debatte anzustoßen.

Die Petition von banda internationale, die von über 20.000 Bürgerinnen und Bürgern unterschrieben wurde, hat die “Schande von Dresden”, die seit 2014 andauernden Demonstrationen eines mehrfach verurteilten Coswigers und seines verwirrten Anhangs, wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Bei dem Demonstrationsgeschehen montags rund um “Pegida” handelt es sich um ein komplexes gesellschaftliches Interaktionsgeflecht verschiedener Akteure, das nur als solches zu verstehen und zu analysieren ist, um es schließlich zu verhindern.

I. Der erste Handlungskreis

1. Pegida

Die verfassungsrechtliche Versammlungsfreiheit von Pegida ist zu respektieren. Trotzdem ist es das politische Ziel, Pegida als Phänomen auf der Straße und als gesellschaftliches Ereignis zum Verschwinden zu bringen. “Pegida verhindern” heißt daher

(1) Beendigung der Privilegierung durch die Versammlungsbehörde und Polizei

(2) Konsequente Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von Pegida-Verantwortlichen und Teilnehmern

(3) Einengende Setzung von Auflagen nach Verstößen, soweit rechtlich möglich

(4) Ausschaltung der gesellschaftliche Reichweite, Ausstrahlung und Anschlussfähigkeit

2. Gegendemonstrant+innen

Die Durchführung von Gegendemonstrantionen sollte Mittel zum Zweck der Verhinderung der gesellschaftlichen Ausstrahlung von Pegida sein.

Eine unmittelbare Verhinderung durch Platzbesetzung hat sich in den letzten Jahren aufgrund mangelnder Beteiligung und Zwangsmittel der Polizei als wirkungslos erwiesen. Daraus sollte man die Konsequenzen ziehen. Wir sollten uns der Erkenntnis stellen, dass es politisch nicht darum geht, den Kreislauf einiger verwirrter Rentner aus dem Linksmeißnischen körperlich zu verhindern, sondern deren politische Ausstrahlung und Anschlussfähigkeit in die Gesellschaft. Die eigenen Kundgebungsmittel und -kommunikation sollte sich diesem Ziel unterordnen. Gegendemonstrationen sollten daher Konfrontationen mit der Polizei vermeiden sowie kommunikativ und politisch anschlussfähig für Passant*innen, Bürger*innen und Tourist*innen sein. Die rechtskonservative Einordnung der Gegendemonstrationen der Versammlungsbehörde und Polizei als “linksextremistisch” muss durchbrochen werden. Dazu bedarf es bewusst eingesetzter, angepasster und gezielter Kommunikationsmittel vor, während und nach der Gegendemonstration. Dies erfordert eine grundsätzliche Neuorientierung der Demonstrationsstrategien.

Unmittelbare Ziele sind

(1) Durchsetzung der Gleichbehandlung durch Versammlungsbehörde und Polizei,

(2) Durchsetzung des Protests in Sicht- und Hörweite,

(3) Aufklärung von unbeteiligten Dritten wie Passant*innen, Bürger*innen und Tourist*innen über den faschistischen Charakter Pegidas.

Mittel sind

(1) Nicht-konfrontatives Auftreten gegenüber der Polizei,

(2) Beschränkung der “Sitzblockaden” / Platzbesetzungen auf symbolische Orte und zulässig begrenzte Zeit (15 bis 20 Minuten),

(3) Klagen sollten wegen der Polizeitreue des Verwaltungsgerichts in erster Linie aus politisch-kommunikativen Gründen erfolgen,

(4) Nachträgliche Akteneinsichten des Versammlungsanmelders,

(5) Dokumentation der Versammlungsbescheide.

3. Polizei im Einsatz

Ziel ist es, die Polizei zu einem gewaltfreien, gleichmäßigen, konsequentem und professionellem Einsatz vor allem gegen Pegida zu veranlassen. Das heißt

(1) Ermöglichung von Protest in Sicht- und Hörweite,

(2) Gewährleistung der Ansprechbarkeit des verantwortlichen Einsatzleiters,

(3) Keine einseitig diskriminierende Kettenbildung, Gewaltandrohung oder Abfilmen gegenüber der Gegendemonstration,

(4) Durchsetzung der Pressefreiheit durch Schutz von Journalist*innen,

(5) Durchsetzung der Versammlungsauflagen insbesondere gegen Pegida,

(6) Beweissicherung bei Ordnungswidrigkeiten und Straftaten vor allem bei Pegida.

4. Antifaschistische Beobachtung, Dokumentation und Kommunikation

Leider hängt die veröffentlichte Berichterstattung von den parteilichen und unvollständigen Pressemitteilungen der Polizei ab. Dieses faktische Deutungsmonopol muss durchbrochen werden. Nötig ist daher die zuverlässige und kontinuierliche Dokumentation des Handelns von Pegida und der Polizei. Dokumentiert werden sollten:

(1) Rechtsverstöße der Pegida-Versammlung, insbesondere gegen behördliche Auflagen,

(2) Bedrohungen und körperliche Übergriffe gegen Gegendemonstrant*innen, Journalist*innen und Passant*innen,

(3) Polizeiliche Unterlassungen eines gebotenen Einschreitens gegen Pegida,

(4) Körperliche Gewalt der Polizei gegen Gegendemonstrant*innen,

(5) Dokumentation des Polizeihandelns in maßgeblichen Einsatzlagen.

Idealerweise sollten von jedem Demonstrationsereignis ein Zusammenschnitt der faschistischen und gegen das Meinungsstrafrecht verstoßenden Aussagen von Pegida, von Rechtsverstößen sowie falschen Einsatzverhaltens der Polizei in denn sozialen Netzwerken veröffentlicht werden.

Schwerwiegende Verstöße sollten von Anwält*innen geprüft, bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und die Anzeige mit Begründung in den sozialen Medien veröffentlicht werden. Dafür ist zuvor eine sorgfältige Aufarbeitung auch der unterinstanzlichen Rechtsprechung zu den Straftaten der Bedrohung, Aufforderung zu Grober Störung, Volksverhetzung oder Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen zu leisten.

II. Der zweite Handlungskreis

1. Versammlungsbehörde

Die Versammlungsbehörde setzt durch die Bescheide für Pegida und die GegendemonstrantInnen den entscheidenden Rahmen des Versammlungsgeschehens. In 6 Jahren Pegida hat sich der Eindruck durchgesetzt, dass sie Pegida bevorzugt behandelt. Ziel ist die

(1) Gleichbehandlung der Demonstrationen,

(2) die Durchsetzung der Auflagen für die Pegida – Versammlung,

(3) bei Verstößen restriktivere Auflagen für die nächste Versammlung.

Eine Einflussnahme auf die Versammlungsbehörde durch Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht erscheint aufgrund der naiven Akzeptanz und Übernahme der offiziellen behördlichen Gefahreneinschätzungen und Regelungen aussichtslos. Nachträgliche Klagen dauern zudem lange, sind teuer und wirken allenfalls mittelbar. Wirksamer Rechtsschutz läuft faktisch leer.

Eine Einflussnahme des Stadtrats auf den Kurs der Versammlungsbehörde wird mit Hinweis auf den staatlichen Charakter des Versammlungsrechts, das eben nicht der Selbstverwaltung der Stadt unterliegt, abgeblockt.

2. Ordnungsbehörde

Die Ordnungsbehörde Dresden (identisch mit der Versammlungsbehörde) ist zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach dem Sächsischen Versammlungsgesetz befugt. Nach § 30 Abs.1 handelt ordnungswidrig, wer

“1. an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug teilnimmt, deren Durchführung durch vollziehbares Verbot untersagt ist,
2. entgegen § 17 Abs. 2 Nr. 2 bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, einem Aufzug oder einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, mit sich führt,
3. sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges durch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt,
4. als Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges einer vollziehbaren Beschränkung nach § 15 Abs. 1 oder 2 nicht nachkommt,
5. trotz wiederholter Zurechtweisung durch den Leiter oder einen Ordner fortfährt, den Ablauf einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges zu stören,
6. sich nicht unverzüglich nach seiner Ausschließung aus einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug entfernt,
7. der Aufforderung der Polizei, die Zahl der von ihm bestellten Ordner mitzuteilen, nicht nachkommt oder eine unrichtige Zahl mitteilt (§ 8 Abs. 2),
8. als Leiter oder Veranstalter einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges eine größere Zahl von Ordnern verwendet, als die Polizei zugelassen oder genehmigt hat (§ 8 Abs. 2, § 18 Abs. 2), oder Ordner verwendet, die anders gekennzeichnet sind, als es nach § 8 Abs. 1 zulässig ist, oder
9. als Leiter den in eine öffentliche Versammlung entsandten Polizeibeamten die Anwesenheit verweigert oder ihnen keinen angemessenen Platz einräumt.”
Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 6 mit einer Geldbuße bis 500 EUR und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 7 bis 9 mit einer Geldbuße bis zu 2 500 EUR geahndet werden (§ 30 Abs.2 SächsVersG).

Die Ordnungsbehörde verfolgt diese Ordnungswidrigkeiten nach dem Opportunitätsprinzip, entscheidet also selbst, ob sie verfolgt oder nicht (§ 47 Abs.1 OWiG). Sie ist dabei aber an das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Gleichheitssatz gebunden.

3. Oberbürgermeister Hilbert

Der OB ist als untere Verwaltungsbehörde Vorgesetzter der Versammlungsbehörde und der Ordnungsbehörde. Er kann beiden im Rahmen des Versammlungsrechts durchaus Weisungen erteilen. Der OB macht davon bewusst keinen Gebrauch, sondern überlässt die Steuerung ganz dem Ordnungsbürgermeister Sittel von der CDU. So entzieht er sich absichtlich seiner politischen Verantwortung. Hier muss von Seiten des Stadtrats und der Öffentlichkeit dauerhaft Druck auf Hilbert und Sittel entwickelt werden.

4. Stadtrat

Der Stadtrat hat keine Handhabe zur Steuerung der Versammlungsbehörde, weil Versammlungsrecht als staatliche Angelegenheit nicht der Selbstverwaltung unterfällt. Selbst Anfragen an den OB oder im Ausschuss für Allgemeine Verwaltung oder Akteneinsichten können abgeblockt werden. Stadträt*innen bleibt so im wesentlichen nur, ihren leichteren Zugang zur Presse zu nutzen.

5. Innenministerium

Das Innenministerium ist als oberste Versammlungsbehörde weisungsberechtigte Vorgesetzte der Versammlungsbehörde. Es kann daher im Rahmen des Versammlungsgesetzes der Dresdner Versammlungsbehörde Weisungen erteilen. Zudem ist das Innenministerium oberste Polizeibehörde und kann der Polizei Weisungen erteilen sowie deren konkreten Einsätze steuern. Stattdessen verhält sich das Innenministerium in der Regel so, als ob sie das konkrete Versammlungsgeschehen nichts anginge; denn zuständig seien ja die untere Versammlungsbehörde und die Polizei vor Ort. Die Parlamentarische Kontrolle des Innenministeriums wird durch die Abgeordneten des Sächsischen Landtags ausgeübt, die durch regelmäßige Anfragen konsequent Druck aufbauen müssten.

6. Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft Dresden ist für die Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit den Demonstrationen zuständig. Die “Einstellungsbehörde” kommt dieser Aufgabe nicht nach, weil sie etwa Körperverletzungen oder Hitlergrüße für Bagatelldelikte hält und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneint. Ziel muss die Beendigung der Linie des Wegsehens und der faktischen Duldung von Pegida-Straftaten sein.

Dies ist bei Anwendung des geltenden Rechts möglich. Gemäß der RIStBV (bundesweite Richtlinie für Staatsanwälte) Nr. 86 Abs. 2 liegt ein öffentliches Strafverfolgungsinteresse “in der Regel” vor,

“wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzen hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z.B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, der rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben.”

Dies ist bei Straftaten von Pegida-Demonstrant*innen zu bejahen.

Gemäß Nr. 234 RIStBV besteht ein Strafverfolgungsinteresse an der Verfolgung von Körperverletzungen

“wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, roh oder besonders leichtfertig oder aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen gehandelt hat”.

Rassistische, fremdenfeindliche und menschenverachtende Beweggründe liegen bei Pegida in der Regel sehr nahe.

7. Justizministerium

Die Justizministerien haben als vorgesetzte Behörde der Staatsanwaltschaften nach §§ 146, 147 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) im Wege des sogenannten externen allgemeinen Weisungsrechts durchaus die Möglichkeit, die Verfolgung von Straftaten im Rahmen von Pegida-Versammlungen zu regeln. Da das externe Weisungsrecht seit Jahrzehnten rechtspolitisch umstritten ist, scheuen sich die Justizminister aber, es auszuüben.

Die “elegantere” Form der Ausübung des Weisungsrechts besteht darin, dass sich die Justizminister hinter dem Generalstaatsanwalt verstecken: In diesem Fall übt der “General” formal sein Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften gemäß §§ 146, 147 Nr. 3 GVG aus, aber der Justizminister stellt diese gemeinsam mit dem “General” vor. Diese Praxis ist auch in Sachsen üblich, wie etwa der “Runderlass Bagatelldelikte” vom Februar 2019 zeigt: Er wird formal vom Sächsischen Generalstaatstaatsanwalt erlassen, wurde aber politisch und kommunikativ im Vorwahlkampf vom damaligen Justizminister Gemkow initiiert und öffentlich vertreten.

Die Justizministerin kann daher unmittelbar durch Ausübung ihres externen Weisungsrechts oder verdeckt durch “Beratung” mit dem Generalstaatsanwalt die konsequente Strafverfolgung der Verwendung verbotener Kennzeichen sowie anderer Straftaten im Rahmen von Pegida-Versammlungen anordnen. Als ersten Schritt könnte Sie sich über den Generalstaatsanwaltschaft über die bisherige Strafverfolgungspraxis berichten lassen. Es ist nicht erkennbar, dass sie bisher in dieser Weise tätig geworden ist.

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