Zur Verkehrslösung am Neustädter Markt und Japanischen Palais – Eine Antwort auf Torsten Kulke

Seit Jahren ist es städtebauliches Ziel, Neustädter Markt und Palaisplatz zu innerstädtischen Orten mit hoher Aufenthaltsqualität umzubauen, die auch der hohen stadthistorischen Bedeutung des Goldenen Reiters, des Blockhauses und des Japanischem Palais entspricht. Die Neustädter Plätze werden heute durch eine vierspurige Autotrasse sowie ein eigenes Gleisbetten vom Elbufer, der Augustusbrücke und dem Schloss abgeschnitten.

Nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung hat der Stadtrat 2014 auf Antrag der Grünen beschlossen, die Augustusbrücke nach ihrer Sanierung nicht mehr für den allgemeinen Autoverkehr zu öffnen. Die Fußgängerbrücke darf dann nur noch von Straßenbahn, Rettungsfahrzeugen und Touristenbussen befahren werden. Zudem hat der Stadtrat 2017 auf meine Initiative beschlossen, die nicht mehr benötigten Rechtsabbiegespuren vor dem Blockhaus und zum Palaisplatz einer Platzgestaltung zur Verfügung zu stellen. Die Einsparung der Linksabbiegerspur aus Richtung Carolaplatz ist damals leider auch an der SPD und der Linken gescheitert.

Im Februar 2019 endete der städtebauliche und freiräumliche Wettbewerb zur Bebauung der südlichen Raumkante zwischen der Großen Meißner Straße / Köpcke-Straße und dem Elbufer. Jetzt stehen die Grundsatzentscheidungen über den Verkehrsraum an. Der Vorsitzende der Gesellschaft Historischer Neumarkt, Torsten Kulke, hat erst kürzlich eine “Vision” für “30 bis 50 Jahre” gefordert. Der Neustädter Markt dürfe “kein neuer Postplatz” werden. Kulke greift insbesondere die Grünen an: Es enttäusche ihn, dass diese die Köpckestraße / Große Meißner Straße “nicht antasten” wollten. Vielmehr solle der Stadtrat “Mut” beweisen und die Straße verkleinern.

Man muss nicht Altkanzler Helmut Schmidt zitieren, um Torsten Kulke zu widersprechen. Offensichtlich kennt Kulke die Initiativen der Grünen Fraktion der letzten Jahre nicht. Es ist nicht “mutig”, städtebauliche und verkehrliche Maßstäbe außer Acht zu lassen, sondern eine konkrete praktikable Lösung zu erarbeiten, die auch zu Kompromissen fähig ist.

I. Entwürfe des Wettbewerbs Königsufer und die Frage einer Untertunnelung

1. Bebauung des Neustädter Markts?

Also zu den Fakten! – Im Bestand ist das Gleisbett 6,50m und die zwei MIV-Spuren 7,50m, also insgesamt 21,50m breit. Zwischen Carolaplatz und Neustädter Markt schließen sich an den Seiten je ein ca. 2 bis 3m breites Hochbeet mit Platanen und ein Fußweg von nur 2,50m an. Dagegen ist die Haltestelle vor dem Blockhaus deutlich breiter als erforderlich. Die unnötigen Abbiegespuren fressen weiteren Raum. Radverkehrsanlagen gibt es nicht. Der Straßenzug wird von täglich etwa 26.000 bis 28.000 Autos befahren.

Der Siegerentwurf des Wettbewerbs von Albers / Vogt schlägt eine Bebauung des Neustädter Markts vor. Er sieht einen Straßenraum von Haus zu Haus mit einer Gesamtbreite von 25m vor. Der zur Verfügung stehende Straßenraum würde nicht verkleinert; es bleibt aber auch unklar, auf wessen Kosten Radverkehrsanlagen eingefügt werden könnten.

Allerdings zeichnet sich im Stadtrat breiter Konsens ab, den Neustädter Markt jedenfalls vorerst nicht zu bebauen. Die Grüne Stadtratsfraktion hat sich klar gegen eine Bebauung ausgesprochen. Die Idee einer Wiederherstellung des 1945 zerstörten Stadtgrundrisses überzeugt nicht. Die denkmalgeschützten Brunnen müssten verrückt werden. Vor allem aber zerstörte eine Bebauung die Platzgestaltung der späten 1970er Jahre, die selbst erhaltenswert ist. Schließlich stellt sie die Plattenbauten, für deren Erhalt sich der Stadtrat ausgesprochen hat, ins städtebauliche Abseits und bereitet so letztlich doch ihren Abriss vor.

2. Verengung des Straßenraums nach Jordi u.a.

Der am historischen Stadtgrundriss orientierte zweitplatzierte Entwurf von Jordi und anderen möchte den Straßenquerschnitt auf 16m verkleinern. Wie auf diesem Querschnitt der jetzt vorhandene Verkehr abgewickelt werden soll, sagen die Entwurfsverfasser allerdings nicht. Da allein die Autospuren und das Gleisbett im Bestand 21,50m breit sind, erforderte die Umsetzung eine Reduzierung des Verkehrsraums für ÖV (Öffentlichen Verkehr) und MIV (Motorisierter Individualverkehr) um 5,50m. Dies ist nur mit gemeinsamen Gleis- und Autospuren möglich. Selbst dann bliebe kein Raum für Fuß- und Radwege!

Gemeinsame ÖV- und MIV-Spuren sind nachteilig für den ÖV, weil sie die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Schnelligkeit des Straßenbahnverkehrs den Unwägbarkeiten des Autoverkehrs aussetzen. Bei einer Belastung von täglich 26.000 bis 28.000 KfZ (Bestand und Prognose 2030) sind erhebliche wechselseitige Behinderungen vorprogrammiert. Im Falle eines Unfalls oder Staus steht auch die Straßenbahn. Zum Vergleich: Auf der Antonstraße mit einer gemeinsamen ÖV / MIV-Spur fahren 17.000 bis 20.000 PKW. Oder anders: Die Durchlassfähigkeit für den Autoverkehrs müsste etwa halbiert werden, bevor eine gemeinsame Spur in Erwägung gezogen werden könnte.

3. Willkommen im städtebaulichen Horrorkabinett!

Befürworter des historisierenden Entwurfs von Jordi u.a. bringen daher wieder einmal eine Untertunnelung des Neustädter Markts ins Gespräch. Bezeichnenderweise spielen dabei die erheblichen Kosten im wohl mittleren fünfstelligen Millionenbereich keine Rolle. Eigentlich ist die Debatte schon vor Jahren mit eindeutigem Ergebnis geführt worden. Ein Tunnel würde keine Probleme lösen, sondern neue schaffen. Denn ein Tunnel erforderte nicht etwa weniger, sondern mehr Verkehrsfläche. Denn der Durchgangsverkehr würde zwar unterirdisch geführt, aber die Grundstücke an der untertunnelten Strecke müssen weiterhin mit einer Straße erschlossen werden.

Wie würde ein Tunnel konkret aussehen? Vor dem Finanzministerium müssten zwei 110m lange, je 8,50m breite Rampen für die Tunnelein- und -ausfahrt gebaut werden. Die Straßenbahn würde dazwischen oberirdisch geführt werden. Nördlich müsste im Bereich des heutigen Gehwegs und Parkplatzes noch eine 3m breite Anlieferstraße und ein 2m breiter Radweg angeschlossen werden. Die insgesamt etwa 32m breite Gesamtanlage würde den knappen Raum vor dem repräsentativen Finanzministerium und dem historischen Jägerhof mit hässlichen Betonrampen verunstalten.

Die westlichen Rampen, auch 110m lang, würden unmittelbar in der nördlichen Verlängerung der westlichen Fassade des Japanischen Palais beginnen und bis zur Hainstraße / Kleine Marienbrücke reichen. Die etwa 35m breite Gesamtanlage würde einen Teil der südlichen Parkanlage betonieren, einen Wiederaufbau des südlichen Torhauses verhindern und auf der Nordseite bis unmittelbar an die Stufen des historischen nördlichen Torhauses reichen.

Kurz: Das Bauwerk ist eine städtebauliche Horrorvorstellung! Die Stadtverwaltung fasst ihre Präsentation zu Recht zusammen: “Die 560 m lange autofreie Strecke wird mit 220 m Rampenlängen an sensiblen, historischen Stellen erkauft.” Es ist sinnfrei, den Neustädter Markt mit diesem Riesenaufwand zu untertunneln und dafür den Platz vor dem Jägerhof, dem Japanischen Palais und der Königstraße zu zerstören. Im Ergebnis kommt daher der städtebauliche Grundriss des Entwurfs von Jordi u.a. aus verkehrlichen und städtebaulichen Gründen nicht in Betracht.

II. Wie kann die Köpckestraße / Große-Meißner-Straße umgebaut werden?

Ziel einer Neuaufverteilung des Straßenraums muss die Minderung der Zerschneidungswirkung und der Bau beidseitiger Radverkehrsanlagen sein. Der Erhalt der baumbestandenen Grünstreifen ist wünschenswert. Da gemeinsame ÖV / MIV – Spuren nicht in Betracht kommen, ist zu prüfen, ob der bisher 15m breite Raum in vier Fahrspuren für den Autoverkehr verringert werden kann.

1. Ergebnisse der Verkehrsuntersuchung 2017

Die Stadtverwaltung hat die Reduzierung des Straßenraums für PKW auf Initiative der Grünen Fraktion bereits 2017 in einer Verkehrsuntersuchung geprüft, allerdings ohne die Knotenpunkte: Welche Wirkungen hätte die Beibehaltung einer vierspurigen Variante (Planfall A), die Verengung auf eine überbreite Fahrspur (Planfall B) oder eine einfache Fahrspur (Planfall C) je Fahrtrichtung im Verkehrszug Carolaplatz bis Hainstraße und im weiteren Netz? Im Planfall A müssten die je 3m breiten Grünstreifen mit den alten Platanen beseitigt werden. Die Varianten führen zu einer jeweils unterschiedlichen Verminderung des Autoverkehrs zwischen Carolaplatz und Haunstraße sowie einer entsprechenden Zunahme auf der Hainstraße, der Antonstraße, dem Albertplatz und der Albertstraße.

Planfall A führt zu einer geringen Verkehrsverlagerung zwischen 2% und 4% und Planfall B schon zu merklichen Veränderungen zwischen -10 und +10%. Planfall C, also die Einspurvariante, verursachte deutliche Umverlagerungen zwischen 20% bis 30%. Vor allem würden auf der Antonstraße mehr Autos fahren als heute auf der Großen Meißner Straße. Da die Bahn auf der Antonstraße kein eigenes Gleisbett hat, sind Behinderungen zwischen Autos und Bahn vorprogrammiert, die auch die Durchlassfähigkeit des hochbelasteten Albertplatzes in Frage stellen. Planfall C kommt daher derzeit nicht ernsthaft in Frage. Auch Planfall B dürfte mit seinen Abweichungen um 10% nicht sicher für die Abwicklung des Verkehrs um die Innere Neustadt sein.

Diese Probleme entstehen ausweislich der Verkehrsuntersuchung im Planfall A nicht. Die Variante behält zwar zwei Fahrspuren je Richtung bei, die Verkehrsuntersuchung setzt aber eine reduzierte Breite von 6,50m an, also von 3,25m statt 3,50 je Spur. Die Spurbreite kann also nachweislich ohne Beeinträchtigung der Durchlassfähigkeit und ohne Verlagerungseffekte um 1m verschmälert werden! Die SPD schlägt eine weitere Reduzierung der MIV-Spuren auf je 3m vor, was einen weiteren Meter bringen würde.

Allerdings können mit den gewonnenen von 1m bis 2m Fläche keine Radverkehrsanlagen auf beiden Seiten gebaut werden. Der Planfall A nimmt daher auch die Fläche der Hochbeete mit den Platanen zwischen Finanzministerium, Jägerhof und Neustädter Markt in Anspruch. Die Fußwege könnten in diesem Fall von 3,50 auf 5,50 verbreitert werden, so dass Ersatzbaumpflanzungen möglich wären. Die alten Platanen zu opfern, wäre aber eine schmerzliche Entscheidung.

2. Nordverlegung der Straßenbahn?

Weitere Fläche könnte durch eine Verlegung der beiden Straßenbahngleise an den Nordrand der Straße und an den Neustädter Markt gewonnen werden, weil so Abstandsflächen zur MIV-Spur und Haltestellenraum eingespart würde. Zudem könnten Fahrgäste bequemer unmittelbar am Neustädter Markt einsteigen – ohne Überquerung ampelgeregelter KfZ-Spuren. Ob die Radanlage nördlich oder südlich der Gleise geführt werden sollte, müsste geprüft werden. Die Weiterführung in Richtung Palaisplatz ist ohne weiteres möglich, da dort die Rechtsabbiegespur entfallen soll. Wie die SPD richtig anmerkt, könnten dort die Querparkplätze entfallen. Schließlich könnten die Haltestellen anlässlich einer Neutrassierung am Neustädter Markt und am Palaisplatz nach Westen verschoben werden, so dass sie nicht mehr die Blickachsen auf das Blockhaus und das Japanische Palais verstellen. Grüne und SPD haben diese Nordverschiebung der Straßenbahn Anfang Februar 2020 als Prüfauftrag in den Bauausschuss eingebracht.

Allerdings würde eine Neutrassierung wohl aufwendige Planungen erfordern und erhebliche Kosten verursachen. Und auch weiterhin würde ein 12 bis 13m breites MIV-Band die Stadtplätze zerschneiden. Andererseits eröffnete sie die “Vision” im Kulkeschen Sinne, die Autospuren bei einem weiteren Rückgang des Autoverkehrs in Dresden auf je eine überbreite oder eine Spur zu reduzieren und die Gehwege und die Plätze im Süden zu erweitern. Die Nordverlegung der Straßenbahn würde also die Voraussetzungen für eine spätere weitere Verschmälerung des Raums für Autos schaffen, ein starkes Argument!

III. Fazit: Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen

Es zeigt sich: Bei näherer Analyse erfordert die Aufteilung des zur Verfügung stehenden Raums zwischen den Platzanlagen und den einzelnen Verkehrsträgern schwierige Abwägungen. Eine Lösung wird nur mit Kompromissen möglich werden. Der Stadtrat sollte sich jetzt auf die Erarbeitung der notwendigen Entscheidungsgrundlagen konzentrieren. Eine Untertunnelung kann allerdings jetzt schon ausgeschlossen werden. Aus meiner Sicht gilt es die Durchlassfähigkeit der Varianten Planfälle A bis C mit aktuellen Verkehrsmengen sowie zusätzlich an den Knotenpunkten, vor allem am Carolaplatz, der Hainstraße und am Albertplatz zu prüfen. Zudem ist die Möglichkeit einer Nordverlegung der Straßenbahngleise, ihr Flächengewinn einschließlich der Radverkehrsführung an den Stadtplätzen sowie die Kosten zu untersuchen. Genau dies ist Inhalt des Antrags der Grünen und der SPD-Fraktion.

Anhang: Grüner Ergänzungsantrag zur Vorlage der Stadtverwaltung über die Neuordnung der Verkehrsträger am Neustädter Markt

“6. Der Stadtrat bekräftigt seinen Willen, die städtebaulich nachteilige Schneise der Köpckestraße und Meißner Straße zwischen Carolaplatz und kleiner Marienbrücke, die die Neustadt von der Elbe und der Altstadt trennt, schmaler zu gestalten, um den historischen städtebaulichen Zusammenhang zwischen der Nord- und Seite, insbesondere zwischen Jägerhof, dem Neustädter Markt mit Goldenem Reiter mit dem Blockhaus und der Augustusbrücke sowie dem Park auf der Nordseite mit dem Palaisplatz und Japanischem Palais wieder erlebbar zu gestalten.

7. Der Stadtrat bekräftigt seinen Beschluss, die MIV-Rechtsabbiegespur vor dem Blockhaus auf die Augustusbrücke und die Rechtsabbiegespur ab Höhe Goldener Reiter in Richtung Palaisplatz anderen Zwecken zuzuordnen. Zusätzlich soll die nicht erforderliche Linksabbiegespur vor der Augustusbrücke vom Carolaplatz her anderen Zwecken zugeordnet werden.

8. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die Verkehrsuntersuchung aus dem Jahre 2017 über die derzeitige und prognostizierte Belastung mit MIV zwischen Carolaplatz und kleiner Marienbrücke samt der Knoten und der Auswirkungen im weiteren Netz zu aktualisieren und dem Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften vorzulegen.

9. Der Oberbürgermeister wird mit der Prüfung beauftragt, ob regelgerechte Radverkehrsanlagen in beider Richtungen neben der bisherigen zweistreifigen Variante oder nur unter Inanspruchnahme bisher für den MIV zur Verfügung stehenden Raums errichtet werden können.

10. Der Oberbürgermeister wird mit der Prüfung der technischen Möglichkeit und der Kosten beauftragt, ob die Straßenbahntrasse ab dem Carolaplatz bis zur Kleinen Marienbrücke von der Straßenmitte an die Nordseite verlegt werden kann, um zusätzlichen Raum für Radverkehrsanlagen in beide Richtungen zu schaffen. Dabei soll auch die Notwendigkeit von Eingriffen in die Hochbeete an der Nordseite zwischen Jägerhof und Neustädter Markt oder auf der Südseite von Finanzministerium bis Augustusbrücke geprüft werden.

11. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, zwischen Carolaplatz und Kleiner Marienbrücke eine vergleichende Planung vorzulegen, die die Straßenbahn an die Nordseite des Straßenraums verlegt, regelgerechte Radstreifen in beide Richtungen vorsieht, für den MIV jeweils entweder eine überbreite Fahrspur oder einen zweistreifigen Ausbau vorsieht und die Durchlassfähigkeit für alle Verkehrsträger vergleichend bewertet.”

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