Ausgangsbeschränkungen in Zeiten des Coronavirus

Nachdem die Landeshauptstadt Dresden am Freitag, dem 20. März, Ausgangsbeschränkungen verfügt hatte, zog der Freistaat am 22. März mit einer so gut wie wortgleichen Allgemeinverfügung für Sachsen nach. Auch die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsident*innen der Länder verständigten sich auf Ausgangsbeschränkungen, die die Medien leider als “Kontaktverbot” kommunizierten. Die Beschränkungen werden auf das Infektionsschutzgesetz gestützt und mit der Verlangsamung der Ausbreitung des Virus COVID19 begründet. Weitaus die meisten Menschen halten sich freiwillig an die Einschränkungen. Zugleich sorgen sich viele, wie leicht die Bevölkerung massive Einschränkungen ihrer Freiheit akzeptiert. Sind die Eingriffe Test und Blaupause für dauerhafte Eingriffe bis zur Abschaffung der Demokratie? Ein gesundes demokratisches Misstrauen in das Vorgehen der Exekutive, die Aufrechterhaltung einer kritischen öffentlichen Debatte sind notwendiger denn je. Ein Beitrag ist die Analyse und Kritik der sächsischen Ausgangsbeschränkungen.

I. Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung des Sozialministeriums

a) Keine Regelung bestimmbarer Einzelfälle

Das Sächsischen Staatsministerium für Soziales und “Gesellschaftlichen Zusammenhalt” stützt seine “Allgemeinverfügung” vom 22. März 2020 auf §§ 28 Abs.1, 54 des Infektionsschutzgesetzes des Bundes. Das Verwaltungsgericht München entschied bereits zwei Tage später, eine Allgemeinverfügung sei die falsche Rechtsform, weil sich die Anordnungen “an jedermann, also alle Personen, die in Bayern ihren Wohnsitz haben oder sich auch nur künftig dort aufhalten” richten (VG München, Beschluss vom 24.3.2020, M 26 S 20.1252, R.22). Richtige Handlungsform wäre eine Rechtsverordnung.

b) Verstoß gegen das Zitiergebot

Das VG München hat zudem einen Verstoß gegen das Zitiergebot festgestellt: “Für eine Einschränkung des Grundrechts auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG stellt § 28 Abs. 1IfSG keine taugliche Rechtsgrundlage dar.Allerdings unterliegt das Grundrecht des Art. 11 GG dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies bedeutet, dass ein Gesetz, das zur Einschränkung des Grundrechts ermächtigt, das Grundrecht ausdrücklich nennen muss” (R.30). Die “Allgemeinverfügung” des SMS ist daher ebenfalls formell rechtswidrig. Daher sind auch die angeordneten Ausgangsbeschränkungen, Zwangsmaßnahmen oder gar Strafen unzulässig. Trotzdem plädiere ich dafür, sich weiterhin an die Ausgangsbeschränkungen zu halten.

c) Neufassung der Ermächtigungsgrundlage in § 28 InfSchG

Bundestag und Bundesrat haben mittlerweile eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet (Bundestags-Drucksache 19/18111). Die Neufassung fügt in § 28 Abs.1 Satz 1 den Halbsatz ein:

sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.”

Weiterhin wird in Satz 2 der Halbsatz gestrichen: “bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind”. Schließlich wird jetzt das Grundrecht auf Freizügigkeit in Art.11 Abs.1 Grundgesetz zitiert, dass damit auch eingeschränkt werden kann.1 Damit dürften die generellen Bedenken gegen eine Ermächtigung zu Ausgangsbeschränkungen erledigt sein.

II. Die Bedrohung von Freiheit und Demokratie

In der Stunde massiver Einschränkungen persönlicher Freiheit gilt es zu erinnern: “Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren” (Art.1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948). Das Menschenrecht auf Freiheit besteht unter allen Umständen. Es ist kein vom Staat verliehenes oder auf Dauer entziehbares Recht. Eingriffe sind nur aufgrund eines von einem demokratisch gewählten Parlament beschlossenen Gesetzes zulässig. Das Parlamentsgesetz muss einen verfassungsrechtlich zulässigen Zweck verfolgen sowie verhältnismäßig sein und angewendet werden.

Das Verbot, die Wohnung zu verlassen ist ein Eingriff in einen ganzen Kranz zentraler Grundrechte: Die Allgemeine Handlungsfreiheit (Art.2 Abs.1 GG), die Freiheit der Person (Art 2 Abs.2 Satz 2 GG, die freie Religionsausübung (Art. 4 GG), die Versammlungsfreiheit (Art.8 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art.9 GG), die Freizügigkeit (Art.11 GG) und die Berufsfreiheit (Art.12 GG). Eine Befristung der Maßnahmen ist daher wesentlich für ihre Grundrechts- und Demokratieverträglichkeit. Die Allgemeinverfügung soll zwar nur bis zum 5. April gelten, eine Verlängerung bis Ende April ist aber zu erwarten. Auch nach einem Rückgang der festgestellten Neuinfektionen wird es weiter Beschränkungen geben.

Der Grundsatz freien Aufenthalts in der Öffentlichkeit zur Teilnahme an der Willensbildung des Volkes ist fundamental für die Demokratie. Die Vermittlung gesellschaftlicher Debatten über elektronische Medien wie social media kann den freien unbeobachteten Austausch in der Öffentlichkeit nicht ersetzen, sondern schafft weitere Chancen der Überwachung und Manipulation. Es ist schwer vorstellbar, wie eine Gesellschaft unter Quarantäne, mit einer staatlich-repressiven Kontrolle sämtlicher Regungen eine demokratische bleiben kann. Rechtswissenschaftler stellen bereits Überlegungen zum Notstand, seiner Rechtfertigung und Grenzen an.

Andererseits ist klar: Der Staat hat auch eine verfassungsrechtlich begründete Schutzpflicht für die Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Jene rechtfertigt verhältnismäßige Eingriffe in Grundrechte. Die Gesellschaft wird erst lernen müssen, tatsächlich und rechtlich mit den neuen Verhältnissen umzugehen. Menschenrechte und Demokratie können weiterhin unsere Leitsterne sein. Jetzt kommt es darauf an, der Verführung angeblich effektiverer autoritärer Systeme zu widerstehen und öffentlich zu widersprechen. Wir müssen Grundfreiheiten und Demokratie bewahren, Zusammenhalt und Vertrauen durch solidarisches Denken und Handeln stärken. Ein Blick nach Weißrussland, Ungarn, Brasilien, Russland, der Türkei, England oder den USA beweist: Die offene Gesellschaft des in Länder gegliederten Deutschlands mit seiner Zusammenarbeit in der Europäischen Union ist auf die Krise besser vorbereitet und handelt rationaler, innovativer und schneller als autoritäre Regime oder Demokratien mit rechtspopulistischen Führern.

III. Die Ausgangsbeschränkungen der Allgemeinverfügung im Einzelnen

In den nächsten Tagen ist mit einem wortgleichen Neuerlass der Allgemeinverfügung zu rechnen. Daher lohnt es sich, die Ausgangsbeschränkungen im Einzelnen zu betrachten.

1. Zweck

Das Sozialministerium begründet die Allgemeinverfügung mit dem Ziel, die Ausbreitung des Virus schnell wirksam durch Beschränkung der physischen sozialen Kontakte auf ein Minimum zu verzögern, um das Gesundheitssystem im Interesse besonderes verletzlicher Menschen nicht zu überlasten:

Da derzeit weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie zur Verfügung stehen, müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern. Nur durch eine schnell wirksame Verlangsamung des Infektionsgeschehens kann erreicht werden, dass das Gesundheitssystem funktionsfähig bleibt.

Durch den vorherrschenden Übertragungsweg von SARS-CoV-2 (Tröpfchen) zum Beispiel durch Husten, Niesen oder teils mild erkrankte oder auch asymptomatisch infizierte Personen kann es zu Übertragungen von Mensch zu Mensch kommen. Deshalb ist es erforderlich, die physischen sozialen Kontakte zwischen den Menschen auf ein Minimum zu beschränken.”

2. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt

Die Allgemeinverfügung stellt in Nr.1 das allgemeine Verbot voran:

Das Verlassen der häuslichen Unterkunft ohne triftigen Grund wird untersagt.”

In Nr.2 werden dann die Ausnahmen angeschlossen: “Triftige Gründe sind insbesondere ...”.

Es handelt sich um ein sogenanntes Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Diese Regelungstechnik kehrt das fundamentale Verhältnis zwischen der Freiheit als Regel und den Eingriffen als Ausnahme um. Angemessener wäre es die Freiheit des Ausgangs zu bekräftigen und die Einschränkungen als Ausnahmen davon zu definieren. Die Ministerialverwaltung erspart sich durch das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt das genaue Durchdenken verhältnismäßiger Verbote im Einzelnen. Der Staat demonstriert symbolpolitisch Handlungswillen und Tatkraft. Symbolpolitik rechtfertigen aber keine unverhältnismäßigen Eingriff in unsere Grundfreiheiten.

3. Allgemeine Abstandsregel 1,50m

Nr.4 der Verordnung stellt die allgemeine Abstandsregel auf:

Im Übrigen ist jeder angehalten, die physischen sozialen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen zwei Personen einzuhalten.”

Die Abstandsregel gilt also nicht für “Angehörige des eigenen Hausstands”. Dort wären sie auch kaum einzuhalten. Der “eigene Hausstand” umfasst alle Personen, mit denen man in einer Wohnung zusammenlebt. Es kommt nicht darauf, ob und in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis die Hausstandsangehörigen stehen. Die inzwischen aufgehobene Dresdner Verordnung vom 20. März hatte noch erwähnt, dass die 1,50m auch in Straßenbahnen und Bussen einzuhalten sei. Diese nützliche Klarstellung enthält die Landesverordnung nicht mehr.

4. Aufzählung “triftiger” Gründe

Das Verlassen des “eigenen Hausstand” ohne “triftigen” Grund ist untersagt. “Triftig” ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der auszulegen ist, aber auch ausgelegt werden kann. Unbestimmte Rechtsbegriffe dürfen jedenfalls nicht zum Türöffner eine uferlosen Selbstermächtigung der Verwaltung werden. Die Allgemeinverfügung zählt in Nr.2.1. bis 2.14 Fälle auf, in denen ein Verlassen des eigenen Hausstands einen “triftigen” Grund habe und zulässig ist.

Nr. 2.1. Abwendung unmittelbarer Gefahren

Die Vorschrift nennt generalklauselartig “die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum“. “Unmittelbar” meint wohl eine zeitlich nahe bevorstehende Gefahr, die sich bis zum (bisherigen) Auslaufen der Allgemeinverfügung am 5. April zu verwirklichen droht.

Nr. 2.2. Ausübung beruflicher Tätigkeiten

Die Nummer nennt die wichtigste Generalausnahme: die “Ausübung beruflicher Tätigkeiten (dies umfasst auch den Hin- und Rückweg zur jeweiligen Arbeitsstätte)“. “Beruf” ist in Anknüpfung an Art.12 Abs.1 GG weit auszulegen und jede auf Dauer angelegte und auf Erwerb gerichtete Tätigkeit. Kein Beruf ist die Ausübung von Hobbys oder der Besuch von Kitas, Schulen, Universitäten oder Bildungseinrichtungen. Es ist offensichtlich, dass der Begriff der Berufstätigkeit sehr weit ist, also eigentlich alle Wege erlaubt wie bisher und die Frage der beruflichen Notwendigkeit kaum von der Polizei überprüft werden kann.

Nr. 2.3. Hin- und Rückweg zur Kindernotbetreuung

Der “Hin- und Rückweg zur Kindernotbetreuung gemäß der Allgemeinverfügung des SMS bzgl. Kindertagesstätten und Schulen vom 18. März 2020 sowie zu Tagespflegeinrichtungen entsprechend der Allgemeinverfügung des SMS vom 20. März 2020 bzw. beruflich veranlassten Kinderersatzbetreuung” ist triftig. Gemeint sind nicht die Wege, sondern die Begleitung der Kinder zur und von der Notbetreuung durch Eltern oder andere Personen.

Nr. 2.4. und 2.5. Sicherstellung der Versorgungssicherheit und Lieferverkehr

Wege zur “Sicherstellung der Versorgungssicherheit der Bevölkerung, einschließlich Abhol- und Lieferdienste (auch im Rahmen von ehrenamtlicher Tätigkeit)” sind erlaubt. Damit dürften Abhol- und Lieferdienste sowohl von Personen als auch von Waren gemeint sein. Nr.5 wiederholt die Zulässigkeit einer “Wahrnehmung des notwendigen Lieferverkehrs, einschließlich Brief- und Versandhandel“. Fraglich ist, ob die Allgemeinverfügung wirklich zwischen der “Sicherstellung der Versorgungssicherheit” und nicht notwendigem Lieferverkehr unterscheiden will.

Nr. 2.6. Blaulichtfahrten

Die Erlaubnis von “Fahrten von Feuerwehr-, Rettungs- oder Katastrophenschutzkräften zum jeweiligen Stützpunkt oder Einsatzort” wird offensichtlich nur zur Klarstellung aufgeführt. Hier geht es stets um “die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum” im Sinne des Nr.2.1.. Fahrten der Polizei werden nicht erwähnt, vielleicht weil das zu selbstverständlich wäre.

Nr. 2.7. Ärztliche Versorgung und seelsorgerliche Betreuung

Diese Nummer erlaubt Wege zum Zwecke der umfassenden körperliche und psychischen Krankenfürsorge, genauer die

Inanspruchnahme medizinischer, psychosozialer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen, (z. B. Arztbesuch, medizinische Behandlungen und zwingend notwendige fachliche Beratungen sowie Blut- und Plasmaspenden), sowie der Besuch Angehöriger der Heil- und Gesundheitsfachberufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist (z. B. Psycho- und Physiotherapeuten auch in Alten- und Pflegeheimen) bzw. im Rahmen einer dringend erforderlichen seelsorgerischen Betreuung

Die Vorschrift regelt drei Fälle: Erstens die Inanspruchnahme medizinischer, psychosozialer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen. Zulässig sind daher auch Gänge zum Tierarzt wegen der Katze, dem Hund oder dem Hamster. “Psychosoziale” Versorgungsleistungen meint wohl den Gang zu Beratungsstellen, zum Psychologen oder Psychiater. Zweitens können “Angehörige der Heil- und Gesundheitsfachberufe” aufgesucht werden, etwa Physiotherapeuten. Drittens ist auch die seelsorgerische Betreuung zulässig. Personen können daher zu Geistlichen für die Beichte oder ein seelsorgerliches Gespräch gehen.

Die erste Fallgruppe ist mit dem einschränkenden Zusatz versehen “zwingend notwendige fachliche Beratungen”, die offenbar in Gegensatz zum “Arztbesuch” und “medizinischen Behandlungen” stehen sollen. Es ist unklar, ob die Verordnung hier zwischen Arztbesuchen, bei denen konkrete Behandlungen oder Medikamentierungen, die ohne weiteres zulässig sein sollen, sowie “Beratungen” unterscheidet, die nur bei “zwingender Notwendigkeit” stattfinden sollen. Eine vergleichbare Frage stellt sich bei der zweiten Fallgruppe des Aufsuchens von Heil- und Gesundheitsleistungen, die unter dem Vorbehalt “medizinisch dringender Erforderlichkeit” stehen. Schließlich ist unklar, ob es Unterschiede zwischen einer “zwingenden fachlichen Notwendigkeit” und einer “medizinisch dringender Erforderlichkeit” geben soll.

Allerdings ist eine Entlastung von Ärzten und Pflegepersonal, Praxen und Krankenhäusern in Zeiten einer drohenden Überlastung und der Schutz des Personals vor Ansteckungen ein hinreichender Grund für Einschränkungen beim Arztbesuch. Falls dies beabsichtigt sein sollte, sollte die Regeln aber klarstellend überarbeitet werden. Gegen eine Einschränkung spricht allerdings, die Bevölkerung nicht durch vermeintliche Schließungen im Gesundheitssystem zu beunruhigen.

Nr. 2.8. “Versorgungswege für den täglichen Bedarf”

Versorgungswege für die Gegenstände des täglichen Bedarfs” sind zulässig. Aufgezählt werden beispielhaft:

Einzelhandel für Lebensmittel, Großhandel, Getränkemärkte, Tierbedarfsmärkte, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Banken, Sparkassen sowie Geldautomaten, Poststellen, Tankstellen, Kfz- und Fahrradwerkstätten, Reinigungen, Waschsalons, Zeitungsverkauf sowie die Abgabe von Briefwahlunterlagen.

Die Erwähnung des “täglichen” Bedarfs zeigt, dass auch täglich eingekauft werden darf.

Nr. 2.9. Behördengänge und Rechtsverkehr

Das Haus darf verlassen werden für

die Wahrnehmung unaufschiebbarer Termine bei Behörden, Gerichten, Gerichtsvollziehern, Rechtsanwälten und Notaren“.

Allerdings hat die Landeshauptstadt Dresden die meisten Behörden mit Publikumsverkehr geschlossen. “Unaufschiebbar” sind Behördengänge, die nicht bis zum Ende der Geltungsdauer warten können, also nicht auch noch nach dem 6. April 2020 erledigt werden können.

Achtung: die Allgemeinverfügung entlastet nicht von der Einhaltung von Rechtsbehelfsfristen bei Widerspruch oder Klage!

Nr. 2.10. Besuche

a) Kranke, Hilfsbedürftige und Nachbarschaftshilfe

Keine Ausgangsbeschränkung besteht für Besuche bei Partnern, Kranken oder Hilfsbedürftigen, die nicht in Krankenhäusern, Alten- oder Pflegeheimen wohnen:

Besuch bei Ehe- und Lebenspartnern sowie auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften, hilfsbedürftige Menschen, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen)

Die engsten sozialen Beziehungen und die Unterstützung auch unter Nichtverwandten soll aufrecht erhalten werden. So sind etwa auch Besuche im Rahmen der Nachbarschaftshilfe zulässig.

b) Ausübung des Umgangsrechts

Weiterhin ist die “Wahrnehmung des Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich” möglich. Teil des Sorgerechts ist auch das Umgangsrecht. Umgangsregelungen bei getrennt lebenden Eltern bleiben daher bestehen. Dagegen könnte angeführt werden, dass der umgangsberechtigte Elternteil gerade nicht in demselben Hausstand mit seinem Kind wohnt. Dafür spricht aber der Zweck der Verfügung, engste soziale Beziehungen zu respektieren und aufrecht zu erhalten.

Nr. 2.11. Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen

Die “Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen” ist zulässig. Gemeint sind sicherlich die Bringewege zur Notbetreuung. “Unterstützungsbedürftig” dürften Menschen sein, die aus körperlichen oder psychischen Gründen nicht in der Lage sind, die eigentlich zulässigen Wege allein zu erledigen.

Nr. 2.12. Beerdigung und Begleitung Sterbender

Erlaubt ist die “Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis, wobei die Anzahl 15 Personen nicht überschreiten darf“. Die allgemeine Höchstgrenze von 5 Personen wird hier verdreifacht. Dennoch erscheint die Begrenzung auf 15 Personen bei derart höchstpersönlichen Anlässen wie einer Beerdigung bedenklich. Denn Ansteckungsgefahren könnten auch durch weitere Vorsichtsmaßnahmen gemindert werden.

Nr. 2.13. Aufenthaltsrecht im Freien

Die Verordnung erlaubt in Nr. 2.13 “Sport und Bewegung an der frischen Luft“. Allerdings wird diese örtlich und bei der Anzahl der Begleiter begrenzt auf das

Umfeld des Wohnbereichs sowie (den) Besuch des eigenen Kleingartens im Sinne des Bundeskleingartengesetzes, allerdings ausschließlich alleine oder in Begleitung des Lebenspartners bzw. mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung größer als fünf Personen“.

Die “Bewegung an der frischen Luft” soll möglichst alleine stattfinden. Erlaubt ist die Begleitung des Lebenspartners und der Mitglieder des eigenen Hausstandes bis zu einer Höchstgrenze von 5 Personen.

a) “Sport und Bewegung”

Mit “Sport und Bewegung” ist Spazierengehen und sicher auch Joggen gemeint. Auch durch einfaches Sitzen auf einer Bank hält man sich zulässigerweise “an der frischen Luft” auf, zumal man sich ja von Zuhause zur Bank und zurück bewegen muss. Natürlich kann man Radfahren als “Sport” definieren und anführen, dass man eigentlich regelmäßig Touren zwischen 50 und 100km fährt. Gemessen am Zweck der Vorschrift, weitere Infektionen zu verhindern, erfolgt dies aber sicher nicht mehr im “Umfeld des Wohnbereichs”.

b) “Umfeld des Wohnbereichs”

Diese unbestimmte Formulierung hat wie zu erwarten, in der Praxis sofort für verschiedenste Auslegungen und Kritik gesorgt. Sie kann aber nach den Regeln der juristischen Kunst ausgelegt werden. “Umfeld” meint einen offensichtlich einen Bereich, der um den “Wohnbereich” zentriert ist. Nach allgemeinem Sprachgebrauch meint er “in der Nähe” oder “nahe bei” der eigenen Wohnung. In systematischer Sicht können städtebauliche Kriterien herangezogen werden. Das “Wohnumfeld” würde daher soweit reichen, wie die jeweilige Lebensmittelnahversorgung, die Kita oder Schule oder die Zustiegsmöglichkeit zum Öffentlichen Personennahverkehr entfernt ist. Da es um Erholung im Grünen geht, muss etwa der nächstgelegene Park oder Naturfreiraum gemeint. “Wohnumfeld” kann daher als der fußläufige Bereich zu diesen Einrichtungen verstanden werden, also in aller Regel ein Bereich zwischen 500 und 1000m. Im Einzelfall kann das Umfeld auch weiter gezogen werden, etwa wenn kein Park vorhanden oder der Erholungsraum in für die Ansteckung geeignete Weise überfüllt ist. Eine Orientierung an Gemeinde- oder Kreisgrenzen ist der Verfügung nicht zu entnehmen. Andererseits ist die Auslegung des sächsischen Innenministeriums plausibel, dass Dresdner*innen nicht mehr in die Sächsische Schweiz fahren können.

c) Kleingärten und Privatgärten

Die Allgemeinverfügung lässt den Besuch von Kleingärten im Sinne des Bundeskleingartengesetzes zu, nicht aber den privater Erholungsgärten. Allerdings ist die rechtliche Kategorisierung eines Gartens kein sachliches Kriterium, dass diese Ungleichbehandlung rechtfertigte. Der Erholungszweck wird genauso in privaten Gärten erreicht, ohne dass die Ansteckungsgefahr größer wäre als in Kleingärten, eher im Gegenteil! Im übrigen begrenzt das Sozialministerium den Aufenthalt in Gärten nicht auf das eigene Wohnumfeld. Daher können auch entfernter liegende gepachtete Klein- und Privatgärten aufgesucht werden.

Nr. 2.14. “Unabdingbare Handlungen zur Versorgung von Tieren”

Erlaubt sind auch “unabdingbare Handlungen zur Versorgung von Tieren“. Gemeint ist wohl, das Ausführen eigener Hunde oder in Nachbarschaftshilfe für Kranke und Hilfsbedürftige. Die Versorgung von Tieren in landwirtschaftlichen Betrieben gehört schon zur Berufsausübung.

5. Allgemeine Öffnungsklausel

Die Ausnahmen von der Regel in Nr.2.1 bis 2.14. werden überschrieben: “Triftige Gründe sind insbesondere“. Damit stellt der Verordnungsgeber klar, dass auch andere Gründe als die aufgezählten zum Verlassen der Wohnung berechtigen können. Die Fälle der Nr. 2.1. bis 2.14 sind also nicht abschließend.

a) Auslegungmaßstäbe

Welche weiteren Fälle einer Ausgangsberechtigung es gibt, ist durch Auslegung zu ermitteln, im Streitfall durch das örtlich zuständige Verwaltungsgericht. Auslegungsmaßstäbe sind der Zweck der Verordnung sowie die aufgezählten Fälle. Erklärter Zweck der Allgemeinverfügung ist die schnell wirksame Verzögerung der Virusausbreitung durch Beschränkung der physischen sozialen Kontakte “auf ein Minimum”, um das Gesundheitssystem im Interesse besonderes verletzlicher Menschen nicht schnell zu überlasten. Allerdings sind den Erlaubnissen weitere unausgesprochene Zwecke zu entnehmen. Denn die Allgemeinverfügung beschränkt die Kontakte keineswegs auf ein “Minimum”. Weitere Zwecke der Allgemeinverfügung sind die Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens, der täglichen und ärztlichen Versorgung der Bevölkerung, der engsten familiären Kontakte, von Erholung und Sport und die Unterstützung Hilfsbedürftiger.

b) Freie Berufsausübung gegen beschränkte Sozialkontakte?

Im Zuge der Berufsausübung kommt es zu zahlreichen Kontakten vieler Menschen, die eine Ausbreitung des Virus begünstigen. Ja, die eindämmende Wirkung einer häuslichen Quarantäne bei unbeschränkter Berufsausübung der Menschen kann sogar ganz verpuffen! Der Eingriff in die persönliche Freiheit könnte daher weder geeignet, noch notwendig oder angemessen, also unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sein. Daher ist zu fragen, ob es verfassungsrechtlich zulässige Erwägungen des Verordnungsgebers gibt, die Berufsausübung trotz der Ausgangsbeschränkungen offen zu halten. Einschränkungen der Berufsausübung ihrerseits wären Eingriffe in die Berufsfreiheit der Berufstätigen, die aber durch Allgemeinwohlerwägungen durchaus gerechtfertigt werden können. Im Kern geht es um die Frage einer willkürlichen Ungleichbehandlung zwischen Berufstätigen und Nichtberufstätigen. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens zur Versorgung der Bevölkerung in der Krise hohe Bedeutung hat. Zudem gilt die Abstandsregel von 1,50 auch im Berufsleben. Dennoch erscheint die völlige Freistellung des Berufslebens von den Einschränkungen als unverhältnismäßige Ungleichbehandlung. Die Unverhältnismäßigkeit könnte aber wohl durch Schutzmaßnahmen vor Ansteckungen im Berufsalltag gemildert oder aufgehoben werden. Der Gesetz- und Verordnungsgeber sollte hier dringend tätig werden!

c) Treffen mit Freunden im Wohnumfeld

Die “triftigen Gründe” beschränken physische Kontakte auf den Lebenspartner, Personen des eigenen Hausstandes, die Begleitung Hilfsbedürftiger sowie das Zusammentreffen mit Arbeitskollegen oder Empfängern zulässiger Leistungen und Lieferungen. Daher ist zu fragen, ob das Treffen mit Freunden und Bekannten, insbesondere im Wohnumfeld des eigenen Hausstandes, aufgrund der Generalklausel für zulässig gehalten werden muss. Dafür spräche, dass die Allgemeinverfügung die Aufrechterhaltung elementarer sozialer Kontakte und Hilfeleistung erlaubt. Zu prüfen ist, ob der Ausschluss des Treffens mit Freunden geeignet, erforderlich und angemessen, also verhältnismäßig ist. Es geht um die Abschottung von Infektionsherden gegeneinander, in der Diktion der Allgemeinverfügung, von “Hausständen”. Angesichts der zwangsläufig engen Kontakte ist dies etwa bei Mehrfamilienhäusern nur eingeschränkt möglich. Daher sollte der Besuch enger Freunde im Wohnumfeld, etwa im Garten eines Mehrfamilienhauses auch aus psychosozialen Gründen zulässig sein. Insbesondere erscheint ein Totalverbot angesichts der Offenhaltung des Berufsalltags mit seinen weitgehenden Verbreitungsmöglichkeiten unangemessen.

d) Unzulässigkeit des totalen Versammlungsverbots

Die Allgemeinverfügung verbietet Versammlungen zur gemeinsamen und öffentlichen Meinungsäußerung. Die Versammlungsfreiheit nach Art.8 GG ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Ein generelles Verbot halte ich für verfassungswidrig, zumal durch Auflagen die Ansteckungsgefahren gemindert werden können. Dennoch sollte sich jede/r fragen, ob er ausgerechnet jetzt in der Krisenlage unbedingt eine Versammlung durchführen muss.

IV. Eingriffsrechte der Polizei und Strafbarkeit

Kontrollen der Polizei sind wie zu erwarten auf ein sehr geteiltes Echo gestoßen. Die einen fühlen sich ungerechtfertigt von der Polizei drangsaliert, die anderen wollen eine strengere Durchsetzung der Auflagen. Dabei wird Vertrauen verspielt, wenn die Staatsregierung die Teilnehmer der “Blaulichtparty” vom 13. März in Dresden nicht ermittelt und zur Abwendung von Ansteckungsgefahren vom Dienst ausschließt.

1. Eröffnung polizeirechtlicher Eingriffe

Die Allgemeinverfügung selbst enthält keine Kontrollrechte der Polizei. Allerdings ist ihre Einhaltung Teil der “öffentlichen Sicherheit” im Sinne des Polizeivollzugsdienstgesetzes. Die zuständigen Polizeibeamten können die dort vorgesehenen Eingriffsrechte anwenden, wenn dies zur Durchsetzung der Ausgangsbeschränkungen erforderlich ist. Dazu gehören Befragungsrecht (§ 13 PolVDG), Identitätsfeststellung (§ 14 PolVDG) und Platzverweisung (§ 18 PolVDG). Da ein Verstoß gegen die Allgemeinverordnung auch eine Straftat sein kann, werden weitere Eingriffsrechte eröffnet.

2. Glaubhaftmachung der Ausgangsberechtigung

Die Allgemeinverfügung enthält nur eine Regelung für den Nachweis der Ausgangsberechtigung:

Im Falle einer Kontrolle durch die zum Vollzug dieser Verfügung betrauten Stellen sind die triftigen Gründe durch den Betroffenen in geeigneter Weise glaubhaft zu machen. Eine Glaubhaftmachung kann insbesondere durch Vorlage einer Arbeitgeberbescheinigung, eines Betriebs- oder Dienstausweises oder durch mitgeführte Personaldokumente erfolgen.”

Der Nachweis kann als “Glaubhaftmachung” “in geeigneter Weise” geführt werden. Daher sind Hinweise auf das Vorliegen eines “triftigen Grundes” aller Art zulässig. Die Vorschrift erlaubt es, den triftigen Grund durch “Arbeitgeberbescheinigung”, “Betriebs- oder Dienstausweises” “Personaldokumente” glaubhaft zu machen, verpflichtet aber nicht dazu. Ebenso schafft die Allgemeinverfügung keine Pflicht, Personaldokumente mit sich zu führen.

3. Eingriffsermessen und Durchsetzbarkeit

Die Polizei hat ein pflichtgemäßes Ermessen, ob sie auf einen Verstoß gegen eine Ausgangsbeschränkung kontrolliert und welche Maßnahmen sie ergreift. Sie sollte so weise sein, zu erkennen, dass sie kräftemäßig ohnehin nicht in der Lage ist, die Anordnungen lückenlos durchzusetzen. Die Ausgangsbeschränkungen sind auf freiwillige Beachtung der Bevölkerung angelegt. Bisher werden die Maßnahmen von der breiten Bevölkerung mitgetragen und eingehalten. Die Polizei sollte dies nicht durch provozierende und unverständliche und scharfe Eingriffe gefährden. “Fingerspitzengefühl” ist rechtlich kaum zu fassen, aber dennoch eine politisch und rechtlich relevante Kategorie. In der Konsequenz sollte die Polizei nur bei offensichtlichen und gefährlichen Verstößen, wie etwa bei dichten Ansammlungen in der Öffentlichkeit einschreiten. Die Allgemeinverfügung Dresden wurde erlassen, nachdem sich trotz der Aufrufe vielen Menschen auf den Elbwiesen und in den Parks getroffen. Die Nichtbefolgung der Abstandsregeln hat nun auch zum Verbot von Wochenmärkten geführt.

4. Strafbarkeit

Die Verletzung von Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz sind strafbar. Die Allgemeinverfügung weist in Nr. 5 ausdrücklich “auf die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen die Ziffern 1 und 3 dieser Verfügung gemäß § 75 Abs.1 Nr. 1 IfSG” hin. Strafbar sollen unerlaubtes Verlassen des eigenen Hausstandes und Besuche in Pflegeheimen sein.

“Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 Abs. 1 Satz 2zuwiderhandelt“.

In § 75 Abs.4 InfSchG ist sogar fahrlässiges Handeln unter Strafe gestellt (bis zu 1 Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe). Nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen setzt eine Strafbarkeit aber die Bestimmtheit der Anordnung und Erkennbarkeit für den Normadressaten voraus. Daran wird es hier in vielen Fällen fehlen. Letztlich fehlt es aber schon an einer “vollziehbaren Anordnung” im Sinne des Strafgesetzes, da die Allgemeinverfügung, wie oben dargestellt, rechtswidrig ist.

1§ 28 Abs.1 InfSchG lautet jetzt: „Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.“

twitter