Ungehaltene Rede zum Prozess-Naturschutz im Albertpark

Noch während meiner Zeit in der Grünen Stadtratsfraktion hatte ich angeregt, einen Antrag zur Einführung von Prozessschutz im Albertpark zu stellen, für ein Waldgebiet in unmittelbarer Nähe der Neustadt. Die Grüne Fraktion hat das dann getan, wenn auch weichgespült. Leider konnte ich diese vorbereitete Rede im Stadtrat nicht halten, weil ich am 2. Juni 2022 abwesend war.  

I. “Wildnis ist für viele der Gegenbegriff zu Ordnung, Kultur und Zivilisation. In einer Welt, in der alles mit der größtmöglichen Rückversicherung umgesetzt wird, erscheint Wildnis vielen als unkontrollierbares Risiko, ja sie macht Angst.

In der Wildnis aber kann sich Natur frei entfalten. Sie ist das letzte Refugium für viele Arten, die vom Aussterben bedroht sind. Wildnis ist ein Hotspot der Artenvielfalt und Schatzkammer für die genetische Vielfalt und das Leben.

Aktuell findet das sechste große Artensterben der Weltgeschichte statt. Ursachen hierfür sind Klimawandel, Zersiedlung und Versiegelung, unser Rohstoffhunger, Verkehr und die Landwirtschaft. Wildnis stirbt aus. Dabei ist Wildnis vielleicht der letzte Rettungsanker für unzählige vom Aussterben bedrohte Arten – und damit auch für den Mensch die letzte Chance, das Überleben dieser Arten zu sichern.”

So begründen NABU und BUND ihre Vorschläge für Wildnisgebiete in Sachsen aus dem Jahre 2019.

Und ich füge hinzu: Wildnis ist auch nötig für das Überleben des Menschen.

II. Was für viele hier im Saal wohl geradezu irre klingt, ist offizielle Politik des Bundes und sogar Sachsens: Schon 2007 hat die Bundesregierung beschlossen, zwei Prozent der Landesfläche als Wildnisgebiete auszuweisen. Zudem sollen auf 5% der Waldfläche die Regeln für Wildnisentwicklung gelten. Von diesen Zielen sind wir aber bundesweit weit entfernt.

Als Stadt Dresden sollten wir zu diesem Ziel unseren Beitrag leisten – und zwar gerade da, wo wir es als Waldeigentümer auch können!

Sicher, die Fläche des Albertparks liegt weit unter der empfohlenen Größe von Wildnisgebieten. Aber der nahe Mordgrund und der Stechgrund haben ebenfalls seit 30 Jahren eine deutlich naturnahe Entwicklung genommen – wie übrigens auch weite Teile der Heide. Prozessschutz im Albertpark wäre also keine unnütze Insellösung, sondern ein hotspot der Artenvielfalt für die umliegenden Wälder!

Die Fichtenstangen-Monokulturen in der Heide sterben gerade aufgrund der Klimaerwärmung ab. Zum Glück wachsen an vielen Orten im Wege der Naturverjüngung Buchen und Eichen nach. Hier wachsen die standortgemäßen, gesunden und auch schönen Laubmischwälder der Zukunft heran. Dies sind schon wildnisnahe Prozesse!

III. Worum es bei dem Antrag im Kern geht, ist die Verhinderung des weiteren Einschlags wertvoller alter Buchen im Weg der sogenannten “ordnungsgemäßen Forstwirtschaft” – und zwar nicht nur am Eisenbornbach, wo sie bereits geschützt sind.

Prozess-Schutz schließt die Nutzung des Waldspielplatzes und des Tierparks oder eine Verkehrssicherung an Wegen nicht aus. Das ist oft genug gesagt worden.

Und wenn der Stadtrat dort jetzt ein waldpädagogisches Zentrum einrichtet, dann sollte dieses auch vor Ort das geeignete Anschauungsmaterial für Waldlernen haben!

IV. Wer dies nicht für nötig hält, der versteht das Ökosystem “Wald” nicht. “Wald” ist durch einen zyklischen Prozess des Wandels, des Lebens und Sterbens von Baumindividuen, geprägt. In diesem Prozess bleibt aber der Wald als Ökosystem insgesamt in seinen typischen standortgemäßen Formen des Werdens und Vergehens bestehen.

Monokulturen gleichaltriger Fichten sind kein “Wald”, sondern agroindustrielle Holzäcker. Fichtenplantagen überspringen die natürlichen Vorwald-Stadien und schließen mit ihrer Ernte nach etwa 80 Jahren alte Stadien eines Waldes aus. Das Fichtenstangenplantagen jetzt im Klimawandel sterben, ist kein Zufall, sondern Folge dieser nicht nachhaltigen Bewirtschaftung.

V. Es geht also um das Verstehen und Lernen, was “Wald” eigentlich ist, wie “Wald” eigentlich aussieht, wie sich “Wald” entwickelt und verändert, wie Baumindividuen wachsen und sterben und der Wald doch bleibt.

Der Alternativvorschlag der Wiederherstellung eines “Parks” möchte an die Stelle natürlicher Prozesse ein in der Zeit eingefrorenes menschliches Konstrukt von “Natur” setzen. Es geht um das krampfhafte und zum Scheitern verurteilte Festhalten an einem als unveränderlich, als “richtig”, vorgestellten Zustands; letztlich geht es um den vergeblichen und absurden Versuch einer menschlichen Formung und “Beherrschung” des Waldes.

Woher der tiefsitzende emotionale Widerstand gegen den Gedanken der “Wildnis”?

Vielleicht soll die Ahnung und Erkenntnis gebannt werden, dass auch ich als Mensch wie ein Baum im Wald sterben werde. Letztlich geht es um die Bannung der Angst vor dem eigenen Tod.

Wie unglaublich viel könnten die Menschen über sich und die Natur in einem natürlichen Wilden Wald lernen!

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