Klimaschutz, Kohleausstieg und Energiewende im Koalitionsvertrag

1. Klimaschutzziele, Staatsziel Klimaschutz und Klimaschutzgesetz

Der Koalitionsvertrag wiederholt die im Sondierungsergebnis gefundene Formel zu den Klimaschutzzielen, nämlich die “Pariser Klimaziele” (Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius), das “EU-Ziel einer Treibhausgasneutralität bis 2050” und die Ergebnisse der Kohlekommission, also eine “schrittweise Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung bis spätestens 2038”. Mindestens zweimal in der Wahlperiode soll es einen Fortschrittsbericht geben, “die Maßnahmen und Instrumente zur Emissionsminderung bezüglich Wirksamkeit und Effizienz” bewerten (S.37).

Der Klimaschutz soll nun doch als Staatsziel in die Sächsische Verfassung aufgenommen werden (S.37), ein symbolischer Erfolg mit begrenzter rechtlicher Wirkung. Staatsziele sind Handlungsleitlinien für alle staatlichen Organe, die aber selbst entscheiden können, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Die Rechtsprechung kann Auslegungsspielräume von Gesetzen anhand des Zieles “Klimaschutz” nutzen. Ein Staatsziel Klimaschutz hat jedenfalls nichts mit der Einführung eines “Klimanotstands” zu tun, denn andere gesetzliche Regelungen werden gerade nicht ausgehebelt.

Wirksamer Klimaschutz kann ohnehin nur durch konkrete Minderungspolitik in den Hauptemissionssektoren, also der Energiewirtschaft, der Industrie, der Mobilität und der Heizenergie erreicht werden. Ob es aber ein Klimaschutzgesetz mit konkreten Sektorenzielen geben soll, ist eher fraglich (S.37: “Wenn zur Umsetzung der klimapolitischen Ziele der Bundes- oder Staatsregierung Gesetzesnovellen zur Klarstellung erforderlich sind, werden wir diese im Rahmen eines Klimaschutzgesetzes (Artikelgesetz) im Landtag beschließen”).

2. Kohleausstieg, Tagebaue und Erhalt der Dörfer

Eine schwere Hypothek für Sachsenkenia ist die Offenhaltung der Braunkohleverstromung bis 2038. So soll der “geordnete Auslaufbetrieb in den derzeitigen Abbaugebieten für Braunkohle” erhalten bleiben. Lediglich auf “neue Vorrang- und Vorbehaltsgebiete” soll verzichtet werden (S.41). Auch der Erhalt von Pödelwitz wird wie schon im Sondierungsergebnis dem “Betrieb im Kraftwerk Lippendorf im Rahmen des Kohlekompromisses” untergeordnet. Auch für die “Tagebaue in der Lausitz” halten die Partner eine Absiedelung von Flächen für denkbar, wenn sie für den “Betrieb der Kraftwerke im Rahmen des Kohlekompromisses” benötigt werden (S.41).

Die Koalitionspartner formulieren also den politischen Willen, keine weiteren Dörfer mehr abzubaggern, ordnen diesen aber dem Weiterbetrieb von Kraftwerken im Rahmen des “Kohlekompromisses” unter. Jeden Jubel über den Erhalt von Dörfern halte ich daher für verfrüht. Hier hätte mehr herausgeholt werden müssen. Es ist nicht vorstellbar, dass Grüne in einer Regierung verbleiben, die die Abbaggerung von Siedlungen zulässt.

3. Ausbauziele für die Windkraft

Wie schnell die vollständige Umstellung der Strom- und Wärmeversorgung auf im Betrieb treibhausgasfreie Erneuerbare Energien gelingt, wird über die Erreichung der Klimaschutzziele entscheiden. Die Brücke der Einigung, über die alle Partner gehen konnten, sind die wirtschaftlichen Chancen des Klimaschutzes. “Wir wollen, dass Klimaschutz und -anpassung sowie die damit verbundenen Technologien in Sachsen zum Konjunkturmotor werden” (S.4). Wie ein Mantra zieht sich die Aussage “Sachsen soll Energieland” bleiben durch den Vertrag (S.26, 37).

Ein Herzstück des Koalitionsvertrags aus grüner Sicht ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Für den Strombereich wiederholt der Koalitionsvertrag das Sondierungsergebnis: “In den kommenden fünf Jahren schaffen wir die planerischen und rechtlichen Voraussetzungen dafür, dass der Freistaat Sachsen nach dem Ende der Braunkohlenutzung seinen Strombedarf bilanziell vollständig mit erneuerbaren Energien decken kann” (S.38). Das bedeutet 100% EE-Strom spätestens 2038. Im “Energie- und Klimaplan” EKP sollen schon bis Sommer 2020 die Zubauziele für Erneuerbare Energien in Kraft gesetzt werden, einschließlich der “landesrechtlichen Möglichkeiten für dessen rasche Umsetzung”.

Es ist zu begrüßen, dass der Koalitionsvertrag über das Sondierungspapier hinaus nun konkrete Ausbauziele nennt. So sollen bis 2024 EE-Strom-Anlagen zugebaut werden, die 4 Terrawattstunden (TWh) und bis 2030 10 TWh bereitstellen können. Das Ausbauziel 10 TWh hatte ich bereits in meiner Kritik des Sondierungsergebnisses genannt. Dies dürfte je nach dem Umfang des PV-Zubaus etwa 300 bis 800 modernen Windenergieanlagen entsprechen. Da der Strombedarf Sachsens derzeit bei etwa 24 TWh liegt und Erneuerbare etwa 4 TWh beisteuern, sollen die EE bis 2024 auf 8 TWh (ca. 33%) und 2030 auf 14 TWh (ca. 57%) steigen. Mitte der 2020er Jahre ist zudem mit einer Produktion von ca. 4 TWh durch Gaskraftwerke zu rechnen.

Das bedeutet: Der Koalitionsvertrag belässt ein Fenster von mindestens 6 TWh für Braunkohlestrom nach 2030! Dies ist die unverhüllte Konsequenz des sog. “Kohlekompromisses” mit seiner Laufzeitverlängerung bis 2038. Einen eigenen sächsischen Braunkohleausstieg sieht der Koalitionsvertrag gerade nicht vor. Die Kompromisslinie lautet also: Die Kohleparteien CDU und SPD stimmen einem schnellen und ehrgeizigem Ausbauziel für EE bis 2024 / 2030 zu und Grüne akzeptieren die Offenhaltung eines Braunkohlefensters über 2030 hinaus.

4. Bewertung

Ist das nun ein tragbarer oder fauler Kompromiss? Die Hinausschiebung des Kohleausstiegs über 2030 hinaus ist natürlich schlecht. Wenn die Produktion der mindestens 6 TWh nun in Kraftwerken erfolgen soll, deren Abbauflächen erschöpft sind, kommt nach der Einigung sogar die Abbaggerung von Siedlungen in Betracht. Allerdings liegen diese Entscheidungen in der Zukunft. Zudem gibt es Anhaltspunkte, dass der Kohleausstieg von steigenden CO-2-Preisen marktgetrieben wesentlich vor 2038 stattfinden könnte.

Andererseits hängt die Möglichkeit eines Ausstiegs von der schnellen Decarbonisierung der Stromerzeugung ab. Es kommt daher alles darauf an, ob der beschlossene schnelle EE-Ausbau stattfindet oder nicht. Der Koalitionsvertrag beschränkt die möglichen Flächen durch die Regel eines 1000m-Abstands zur Wohnbebauung und dem Verbot von Windenergieanlagen im Wald (was ich befürworte!) (S.39). Die Voraussetzungen für einen Windausbau werden mit der Flächenausweisung in den Regionalplänen gelegt. Leider ist unklar, ob die neuen Ausbauziele den regionalen Planungsverbänden verbindlich vorgegeben werden sollen. Kryptisch heißt es im Vertrag: “Wir passen die rechtlichen Vorschriften für Landesplanung und Bauen an, um die Rolle von Klimaschutz und Klimaanpassung bei planerischen Abwägungen zu stärken. Dabei werden wir im Bereich Windenergie Voraussetzungen für eine effizientere Flächenausnutzung und die einfachere Umsetzung von Repoweringprojekten schaffen.” Weiterhin sollen “Anwendungshinweise” und eine Berichtspflicht über Verfahrensstände” “transparente, rechtssichere und zügige Genehmigungsverfahren ermöglichen”.

Ob dies ausreichen wird, um die zu erwartende Obstruktion des schwarzblauen Landes und der tief schwarzen Verwaltungen zu überwinden, ist eine durchaus offene Frage. Wie durchsetzungsfähig der neue grüne Klimaschutz. und Energieminister ist, wird man daran erkennen können, ob das EKP tatsächlich bis Sommer 2020 novelliert und die rechtlichen Voraussetzungen einer schnellen Umsetzung der Ausbauziele geschaffen werden können.

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