Milieuschutzsatzungen in Dresden? – Rechtliche Möglichkeiten und politische Chancen

1. Hausbesetzungen und Pläne für Milieuschutzsatzungen

Seit etwa einem Jahr kommt es in der Neustadt zu demonstrativen Besetzungen leerstehender Häuser, so etwa an der Königsbrücker Straße (“Putzi”), dem Haus Bischofsweg 16 oder dem Haus Schanzenstraße 3. Die Besetzer*innen fordern erschwinglichen Wohnraum sowie der Verdrängung durch Modernisierungen einen Riegel vorzuschieben. Das Bündnis “Gleiches Hecht für alle” verlangt eine Milieuschutzsatzung für das Hechtviertel. Darin könnten Genehmigungspflichten und Vorkaufsrechte festgesetzt werden. Das Wohnkonzept der Landeshauptstadt von 2019 will zwar prüfen, “inwieweit der Einsatz dieses Instruments zum Erhalt der sozialen Mischung erforderlich und sinnvoll ist” (S.41), aber bisher ist nichts passiert. Die Grünen haben Milieuschutz “für Gebiete mit erkennbaren Verdrängungs- und Gentrifizierungseffekten” zu einem ihrer “Kernprojekte” der laufenden Wahlperiode des Stadtrats erklärt.

2. Städtebauliche Nachteile durch Verdrängung der Wohnbevölkerung

Die Milieuschutzsatzung oder soziale Erhaltungssatzung will nachteilige städtebauliche Wirkungen auf die Infrastruktur eines Gebietes verhindern, die durch eine Änderung der vorhandenen Wohnbevölkerung ausgelöst würden. Nachteilige Wirkungen entstehen etwa mit der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Zweitwohnungen oder Ferienappartments. Denn eine Wohnungsoder Nahversorgung oder Mobilitätsinfrastuktur, die an eine einkommensärmere kinderreiche oder alte Wohnbevölkerung angepasst wäre, käme unter Druck. Der Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ist mittelbares Ziel des unmittelbaren Zwecks eines Schutzes der vorhandenen angepassten Infrastruktur. Soziale Erhaltungssatzungen wirken also nur indirekt zugunsten der vorhandenen Mieter, dagegen aber großflächig und nicht nur im individuellen Mietverhältnis.

3. Kriterien für die Gebietsauswahl

Da Grundstückseigentümer die Festsetzungen eines Milieuschutzgebiets wegen Einschränkung ihres Grundrechts auf Eigentum gerichtlich überprüfbar lassen können, muss die Stadt ihre gesetzlichen Voraussetzungen nachweisen. Als Voraussetzungen werden genannt: bauliches Aufwertungspotential, Aufwertungsdruck, Verdrängung der Wohnbevölkerung sowie städtebauliche Nachteile, die sich aus der Verdrängung ergeben. Allerdings besteht zur Repräsentativität, richtigen Auswahl und Anwendung dieser Kriterien offenbar kein wissenschaftliche Konsens.1 Gefahr für eine Verdrängung der Wohnbevölkerung wird etwa angenommen, wenn beabsichtigte Modernisierungen zu Mieten führten, die über der Durchschnittsmiete des Gebiets lägen. Berlin setzt voraus, dass eine neue Nettokaltmiete nach Modernisierung um 10% über der durchschnittlichen Gebietsmiete läge. Die Durchschnittsmiete muss methodisch einwandfrei und nachvollziehbar ermittelt werden. Das Gebiet ist so abzugrenzen, dass die Ziele in wesentlichen Teilen erreicht werden können.

4. Genehmigungsverfahren im Milieuschutzgebiet

a) Recht auf Eigentum und dessen Inhalts– und Schrankenbestimmung

Die Regelungen des Baugesetzbuchs sind vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Eigentum zu lesen. Der Eigentümer darf nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG das wirtschaftliche Potential seines Hauses voll ausnutzen. Andererseits hat der Bundestag nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG den Auftrag, Inhalt und Schranken des Hauseigentums auszugestalten. Mit dem Recht der Stadt, Milieuschutzsatzungen zu erlassen, hat er das unbeschränkte Verfügungsrecht des Eigentümers im Interesse sozialpolitischer Ziele beschränkt.

b) Genehmigungspflichtige Änderungen

Der Neubau von Wohnungen ist im Milieuschutzgebiet wie auch Instandsetzungen immer genehmigungsfrei zulässig. Üblich ist die Festlegung einer Bagatellgrenze betroffener Wohnungen, unter der keine Genehmigungspflicht besteht. Darüber werden der Abbruch, Änderungen, Nutzungsänderungen oder der Umbau von Gebäuden aber genehmigungspflichtig (§ 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB). Die städtebauliche Genehmigungspflicht gilt auch für Maßnahmen, die bauordnungsrechtlich nach Sächsischer Bauordnung keine Genehmigung brauchen. Sie gilt auch bei Leerstand oder wenn die Mieter einverstanden sind. Nutzungsänderungen sind etwa die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, Praxen, Kanzleien, Gewerbe oder Ferienwohnungen. Änderungen sind etwa Modernisierungen oder Vergrößerungen.

c) Genehmigungsmaßstäbe

Da der Eigentümer in der Regel mit seinem Eigentum verfahren darf, wie er will, “darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll” (§ 174 Abs. 4 Satz 1 BauGB). § 172 Abs. 4 Satz 3 BauGB nennt Sachverhalte, in denen das Eigentumsrecht den sozialpolitischen Interessen vorgeht und deshalb eine Genehmigungspflicht besteht. Sonst ist nach Abs. 4 Satz 2 BauGB eine Genehmigung “zu erteilen, wenn auch unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls die Erhaltung der baulichen Anlage oder ein Absehen von der Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist.” Die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist objektbezogen ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Eigentümers, aber unter Einschluss steuerlicher Vorteile zu prüfen.

5. Herstellung eines “zeitgemäßen Ausstattungsstandards”

Die “Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungsstandards einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungenist immer zu genehmigen (§ 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BauGB). Die Gretchenfrage lautet, was in einem bestimmten Milieuschutzgebiet unter einem “zeitgemäßen Ausstattungsstandard” zu verstehen ist.

a) Bauordnungsrechtliche und energetische Mindestanforderungen

Mindestanforderungen nach der Sächsischen Bauordnung sind immer zu genehmigen. Dabei geht es etwa um den Brandschutz von Wänden und Decken, um Rettungswege oder um Aufzüge, Leitungs- und Lüftungsanlagen. § 48 Bauordnung verlangt für Wohnungen eine Kochnische, Abstellräume für Kinderwagen und Fahrräder, ein Bad mit mindestens einer Dusche sowie eine Toilette. Daher ist der Einbau einer Toilette anstelle einer auf der halben Treppe stets zu genehmigen. Ebenso besteht ein Genehmigungsanspruch für die Anpassung an die baulichen und anlagentechnischen Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung” (§ 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BauGB).

b) Was ist der “zeitgemäße Ausstattungsstandard”?

Der Begriff des “Zeitgemäßen” ist in die Zukunft offen, regional verschieden und unterliegt Wertungen. Als zeitgemäß” gilt etwa der Einbau einer Zentralheizung. Die Gemeinde hat für jedes Gebiet in Abgrenzung zu den “Luxusmodernisierungen” den jeweiligen “zeitgemäßen Ausstattungsstandard” festzulegen. So nennt die Stadt Leipzig als nicht genehmigungsfähige Modernisierungen den Anbau von Zweit-Balkonen oder sehr großen, neuen Balkonen, teure Ausstattungen wie Marmorfliesen, Videogegensprechanlage oder Panoramafenster, den Einbau eines zweiten Bads oder WCs in kleine Wohnungen, eine Änderung funktionierender Grundrisse, den Einbau nicht barrierefreier Aufzüge oder einen Aufzug im Wohnungsgrundriss sowie vor allem die Umwandlung von Wohnungen in Ferienwohnungen oder Büros. Aus Gründen der Rechtsklarheit sollte der Austattungsstandard in der Satzung selbst definiert werden.

6. Vorkaufsrecht der Stadt und zugunsten Dritter

Die Gemeinde hat im Geltungsbereich einer Milieuschutzsatzung ein Vorkaufsrecht (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB). Ein Aufstellungsbeschluss reicht bereits aus. Übt die Stadt das Vorkaufsrecht aus, kommt der Verkauf zwischen dem Eigentümer und der Stadt zustande. Die Gemeinde kann ihr Vorkaufsrecht auch „zugunsten eines Dritten ausüben, so dass der Dritte an die Stelle des ursprünglichen Käufers tritt. Der Dritte muss “zu der mit der Ausübung des Vorkaufsrechts bezweckten Verwendung des Grundstücks innerhalb angemessener Frist in der Lage sein und sich hierzu verpflichten (§ 27a Abs. 1 Nr. 1 BauGB).

a) Beabsichtigte Verwendung gegen die Ziele der Milieuschutzsatzung

Das Vorkaufsrecht darf nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt; die Gemeinde hat den Verwendungszweck des Grundstücks anzugeben (§ 24 Abs. 3 BauGB). Die Allgemeinwohlgründe sind den Zielen der Milieuschutzsatzung zu entnehmen. Es müssen also Tatsachen dafür sprechen, dass der Verkauf zum Zweck des Abbruchs, einer Änderung oder Nutzungsänderung erfolgt, die den Zielen der Satzung widersprechen. Besteht ein Genehmigungsanspruch, gibt es kein Vorkaufsrecht. Die Gemeinde hat das Recht, den zwischen Verkäufer und Käufer ausgehandelten Kaufpreis auf den Verkehrswert herabzusetzen. In diesem Fall kann der Verkäufer vom Kaufvertrag zurücktreten (§ 28 Abs. 3 BauGB).

b) Abwendungsvereinbarung mit dem Käufer

Das Vorkaufsrecht greift in das Recht des Käufers auf Erwerb des Eigentums am Grundstück aus dem Kaufvertrag ein. Da das Vorkaufsrecht allein zur Durchsetzung der Ziele der Milieuschutzsatzung gerechtfertigt ist, kann der Käufer den Vorkauf der Stadt abwenden, indem er sich zur Verwendung des Grundstücks nach deren “Zielen und Zwecken” verpflichtet (§ 27 Abs. 1 BauGB). Der Käufer kann eine wirksame einseitige Abwendungserklärung vor Ablauf der Zweimonatsfrist zur Ausübung des Vorkaufsrechts abgeben. Die Gemeinde kann auch noch danach eine Abwendungsvereinbarung abschließen.

7. Praktische Handlungschancen für eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik

Die Frage ist nun, welche Handlungschancen gegen Gentrifizierung und Verdrängung eine soziale Erhaltungssatzung böte? Mit dem Genehmigungsrecht könnten “Luxusmodernisierungen” verboten werden. Allerdings hängt die Wirksamkeit von der Definition des “zeitgemäßen Ausstattungsstandards” ab. Dabei sind die Anforderungen der Energieeinsparverordnung jedenfalls “zeitgemäß”, was man in Zeiten der Klimakrise nicht kritisieren sollte.

Die Stadt kann mit der Herabsetzung des Kaufpreises auf den Verkehrswert gegen Spekulation vorgehen. Das Vorkaufsrecht ist vor allem ein Druckmittel für Abwendungsvereinbarungen mit dem Käufer. Die Berliner Verwaltungsvorschrift spricht offen aus, es sei “primäres Ziel, die Käuferinnen und Käufer zu überzeugen, eine Abwendungsvereinbarung abzugeben und so einvernehmlich die Ziele der Erhaltung von preisgünstigem Wohnraum für die angestammte Bevölkerungsstruktur zu erreichen.

Am wichtigsten erscheint aber, dass die Stadt mit dem Vorkaufsrecht einen Hebel zur Förderung gemeinwohlorientierter Formen des Wohneigentums erhält, etwa durch Ausübung zugunsten der eigenen kommunalen Wohnungsgesellschaft WID, Bauherrengemeinschaften, klassischen Genossenschaften oder neuen, wie dem Mietshäusersyndikat.

8. Weiteres Vorgehen

Der Stadtrat kann eine Milieuschutzsatzung im Rahmen eines Bebauungsplan oder als eigenständige Erhaltungssatzung beschließen. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange ist im Falle einer Erhaltungssatzung nicht erforderlich aber wünschenswert. Besondere Sorgfalt sollte auf die Feststellung des Aufwertungspotentials, Aufwertungsdrucks, Verdrängung der Wohnbevölkerung und städtebauliche Nachteile in einem bestimmten Gebiet gelegt werden – einmal um eine rechtssichere Satzung zu schaffen, zum anderen, um zielgenau eingreifen zu können. In Dresden soll ein genaues Sozialmonitoring eingeführt werden, ist aber leider nicht öffentlich einsehbar. Daher ist zuerst zu prüfen, welche Daten erforderlich, schon vorhanden oder noch erhoben werden müssten.

1Sehr kritisch empirica, Aussagekräftige Kriterien zum Erlass sozialer Erhaltungssatzungen, Juni 2020.

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